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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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nur noch in alten Bauernhäusern vorfand. Das Holz des Tisches war über die vielen Jahre der Benutzung dunkel, beinahe schwarz geworden. Dieses Möbelstück würde ich niemals abschleifen, es war gerade richtig so, wie es war, mit all seinen Kratzern und Ritzen. Acht Leute fanden bequem daran Platz. Das Stück gehörte einfach zu diesem Haus wie das Fachwerk und die Sprossenfenster.
    Als ich die Küche in einen vorzeigbaren Zustand versetzt hatte, lief ich nach oben, duschte und zog mich an. Meine Haare waren noch leicht feucht, als es an der Vordertür klopfte. Wir hatten es immer noch nicht geschafft, eine neue Klingel installieren zu lassen, nachdem Olivers Versuch, sich selbst als Elektriker zu betätigen, schmählich gescheitert war.
    Ich eilte die Treppe hinunter, durchquerte die Diele und öffnete di e Tür. Bille trat ein und küsste mich zur Begrüßung auf die Wange. Dann drückte sie mir eine viel zu große Papiertüte in die Hand. Ich tat so, als würde ich an ihr vorbei aus dem Haus spähen.
    « Wo sind denn die anderen zwanzig Leute geblieben, die das alles essen sollen?»
    « Ach was, ich konnte mich mal wieder nicht entscheiden, darum habe ich von allem etwas genommen.»
    Sybille zuckte die Schultern und strebte an mir vorbei direkt auf die Küche zu. Ich folgte ihr, trat an die Spüle und befüllte als Erstes den Kessel. Natürlich besaßen wir auch einen elektrischen Wasserkocher, doch in dieser Küche fühlte es sich richtiger an, wenn ich unseren Tee auf herkömmliche Weise zubereitete.
    Früher war ich eine unverbesserliche Kaffeetrinkerin gewesen . Mindestens fünf Becher hatte ich am Tag getrunken. Meistens mehr. Seit der Sache mit Yasmine war das anders, Kaffee trank ich meistens nur noch auswärts. Gegen einen richtig guten, mit echtem Espresso zubereiteten Latte Macchiato hatte ich nichts einzuwenden, aber ansonsten bevorzugte ich Tee, je nach Tageszeit grünen, schwarzen oder Kräutertee. Bille ließ sich am Küchentisch nieder und sah sich anerkennend um. Die neuen Hängeschränke waren erst im vorigen Monat geliefert worden. Sie hatte sie noch nicht im montierten Zustand gesehen.
    « Wow, sieht Klasse aus. Eine tolle Mischung aus alt und neu. Sie ist einfach traumhaft, deine Küche. Und dieser Blick in den Garten, super schön! Ihr habt ein solches Glück, ihr zwei!»
    Dann blieb ihr Blick an mir hängen.
    «Du, meine Liebe, siehst dagegen ein bisschen schlimm aus. Hast du die Nacht durchgemacht? Ich dachte, aus dem Alter wären wir heraus.»
    Ich stellte Butter und eine kleine Platte mit Wurst und Käse, die ich dem Kühlschrank entnommen hatte, auf den Tisch.
    «Du kannst vielleicht Komplimente machen. Herzlichen Dank!»
    Bille grinste breit.
    «Na komm, ihr habt doch Spiegel hier in diesem verwunschenen Gemäuer, oder nicht? Stimmt etwas nicht mit dir?»
    « Doch, alles in Ordnung, ich habe nur schlecht geschlafen.»
    Ich wandte mich ab, um Teller aus dem Schrank zu nehmen. Meine Hände zitterten. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich fuhr herum und riss die Hände hoch. Bille sprang beiseite, die Teller fielen klirrend zu Boden und zerbrachen.
    «Verdammter Mist!»
    «Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken, ich wollte dir doch nur helfen und …»
    Ich bückte mich nach den Scherben, aber Bille kam mir zuvor.
    «Nora, lass das bitte, du setzt dich hin und ich hebe das eben auf, ja?»
    Auf wackeligen Beinen ging ich zum Tisch hinüber und begriff nicht, was mit mir los war. Eben war es mir doch noch gut gegangen. Und dann ganz plötzlich war der Traum der vergangenen Nacht wieder präsent gewesen. Verstörende Bilder waren das gewesen. Jetzt war alles wieder da. Jemand war schrecklich böse gewesen, auf mich, glaubte ich. Ein Mann. Und dann war da so viel Blut gewesen und ein schwarzer Abgrund, oder eine Höhle, in der es so finster war, dass man rein gar nichts darin erkennen konnte, weder, wie tief es hinein oder hinab ging, noch, ob sie leer war... Etwas mochte darin lauern, aber man sah nicht, was es war.
    Das war unheimlich gewesen . Aber was hatte mich so erschreckt, dass ich mitten in der Nacht schreiend aufgewacht war? Ich war danach wieder eingeschlafen, doch der anschließende Schlaf war flach und unruhig gewesen. Offenbar hatte der Traum mir doch mehr zugesetzt, als mir bewusst gewesen war.
    Während Sybille mit Handfeger und Kehrschaufel hantierte, saß ich wie ein nasser Sack auf dem Küchenstuhl . Die Bilder des Traumes flackerten an mir

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