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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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gefunden.»
    « Schnell, steck es unter die Matratze.“
    In dem Moment, als wir das Messer verstaut hatten, schlug die Haustür zu. Dann sahen wir einen Arm vorschnellen und die Tür zu unserem Raum flog ins Schloss. Der Schlüssel wurde herumgedreht. Dann ging das Geschimpfe los. Thönges brüllte und heulte abwechselnd. Er schien vollkommen wahnsinnig geworden zu sein.
    « Du Dummer Dummer was hast du getan nein wer nicht hört kommt ins Loch nein nicht Tomi ins Loch Tomitomi nein tu‘s nicht ich hab’s dir gesagt du Dummer hol mir den Stock nein ich mach es jetzt kaputt nein nein nein.»
    Die Stimme wurde leiser , entfernte sich scheinbar. Wo ging Thönges hin? Schließlich war er nicht mehr zu hören. Mir war übel und schwindelig. Das Rauschen erfüllte meinen Kopf. Alles drehte sich. Ich hatte solchen Hunger.
    « Nora?»
    Du musst lauter sprechen, du bist so weit weg .
    Nora-Kind.
    Ich kann dich nicht hören.
    Mama … hilf mir …
    Ich kann dich nicht hören …
    Wer nicht hören will , kommt ins Loch.
    … nein … bitte nicht …
    Ich will nach Hause … hört mich denn keiner …
    Nora-Kind, wir sind bei dir!
    Papa!
    … nicht das Messer … nein, bitte nicht!
    Töte es! Du oder er …
    Papa, ich kann es nicht …
    Omi, Papa, so helft mir doch … ich kann euch nicht mehr hören.
    Kind …
    … sie sind so laut …
    Nein … bitte nicht … Oh Gott, nein! Tu es nicht …
     
    « Nora, was ist denn mit dir?»
    Ich fühlte eine heiße Hand auf meiner Wange. Langsam öffnete ich die Augen. Bekam kaum Luft und richtete mich keuchend auf.
    « Nora, hey, wach auf. Mann, du bist einfach umgekippt.»
    Neben mir hockte Marita. Sie war nackt, aber sie lebte.
    In meiner Vision hatte Thönges mit einem großen Messer vor ihr gestanden. Wenn sie es gewesen war. Nein, Marita konnte es nicht gewesen sein. Es war nur irgendeine Frau gewesen. Der Rücken unseres Peinigers hatte ihr Gesicht verdeckt. Das Blut war in Strömen geflossen, während der entblößte Körper sich aufbäumte. Der Schrei gellte noch in meinen Ohren. 
    Ich weinte und ließ d en Tränen freien Lauf. Es war alles sinnlos. Wir würden hier sterben. Ich dachte, ich könnte niemals mehr aufhören zu weinen. Aber dann tat ich es doch irgendwann. Es nützte ja alles nichts. Wir konnten nur abwarten.
    Marita hatte inzwischen den Vorhang heruntergerissen und sich darin eingewickelt. Plötzlich schämte ich mich meiner Tränen. Mir war bisher noch nichts wirklich Schlimmes passiert. Natürlich hatte ich Angst. Aber aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen hielt Thönges einen gewissen Abstand zu mir. Ein paar Mal hatte er mich gebürstet, mehr nicht.
    Wir kauerten uns dicht aneinander auf der Matratze. Marita zitterte. Ich spürte die Hitze ihres fiebernden Körpers und fragte nicht, was Thönges getan hatte. Ich wusste, dass wir überlegen mussten, was wir mit dem Messer tun würden. Wer von uns es tun würde. Doch das musste warten. Zeit spielte keine Rolle mehr. Wir waren beide momentan in keiner Verfassung für einen halbwegs sinnvollen Plan.
    In meinem Innern tat sich ein tiefes Loch auf, das mich zu verschlucken drohte. Hunger? Wahnsinn? Angst? Ich schloss die Augen und wollte nicht mehr sein. Nicht mehr denken. Alles hörte auf zu existieren. Oliver. Hedda. Die Welt dort draußen. Es gab nur noch uns. Und Thönges. Würde ich es tun? Könnte ich ihn wirklich töten? Und was, wenn er entschied, niemals wieder zu uns hereinzukommen? Marita könnte vielleicht fliehen, wenn es uns gelänge, die Scheibe einzuschlagen. Und dann? In ihrem Zustand würde er sie fangen, ehe sie noch drei Schritte gelaufen war. Ich war angekettet, sie war krank. Wir beide wurden immer schwächer. Vielleicht war es schon zu spät, um uns zu wehren. Andererseits hatten wir jetzt ein Messer.
    Die Gedanken drehten sich im Kreis. Oliver, wo bist du? Hol mich hier raus, flehte ich stumm, bitte, finde mich, irgendwie.
    «Nora?»
    « Ja?»
    « Lange halte ich nicht mehr durch.»
    Genau das befürchtete ich im Geheimen, aber sie durfte jetzt nicht schlapp machen. Wenn ich nur etwas gegen das Fieber tun könnte. Sie durfte nicht auskühlen. Ich stand vorsichtig auf und zog meine Jeans aus. Dann setzte ich mich vor Marita hin und schob die Hose vorsichtig über ihre Beine. Sie protestierte nur schwach.
    « Dann wird dir ja kalt.»
    « Ist in Ordnung. Ehrlich. Mir ist nicht kalt. Jedenfalls nicht sehr. Hör mal, du bist krank. Aber wir schaffen das, ich muss mir nur überlegen, wie wir

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