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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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es anstellen wollen.»
    « Ich schaffe das nicht mehr.»
    « Doch, du schaffst das. Verdammt noch mal, Marita, jetzt lass mich nicht hängen. Komm, hoch mit dem Po. Du … du blutest nicht mehr, oder?»
    Den Knopf konnte ich nicht schließen, auch der Reißverschluss ließ sich nur halb hochziehen. Aber sie hatte nun wenigstens eine Hose an.
    «Nein, es hat jetzt ganz aufgehört.»
    « Gut.»
    Dann ließ ich mich wieder neben Marita nieder und legte die Jacke über meine nackten Beine. Natürlich war mir kalt. Irgendwann fielen mir die Augen zu.
    Während wir schliefen, hatte Thönges Marita erneut angekettet. Als wir erwachten, war der Toiletteneimer ausgeleert worden, daneben stand eine geöffnete Bierflasche mit Wasser. Viel war das nicht. Dazu ein großes Stück Brot und fünf Äpfel. Verschrumpelt wieder und wurmstichig. Warum fünf? Früher hätte ich so etwas niemals hinunter gebracht, mit Essen war ich schon immer heikel gewesen. Krüsch, sagte Großmutter früher dazu. Früher? Früher, das war noch vor wenigen Tagen gewesen. So schnell konnte das gehen, dass man zu einer Art Tier wurde. Es zählte nur noch das nackte Überleben.
    Ich begann mich zu fragen, wie lange es dauern würde, bis es zwischen Marita und mir heißen würde: sie oder ich. Alles war möglich. Aber im Moment brauchten wir einander. Ich hatte ja niemanden mehr. Wenigstens waren wir zu zweit und Thönges allein.
    Irgendwann fielen mir die Augen zu und ich schlief, wie tot. Keine Bilder. Nur ganz von ferne das Stimmengewirr, das immer undurchschaubarer wurde. Mein Papa und Omi gingen darin unter. Ich spürte, dass sie zu mir vorzudringen versuchten. Doch ich konnte kaum noch verstehen, was sie sagten.
    Dann brach mein fünfter Tag in Gefangenschaft an, wenn ich das überhaupt noch richtig überblickte. Ich war mir nicht mehr sicher. Alles verschwamm. Jedenfalls bekamen wir Thönges nicht zu sehen, so lange es hell war. Immerhin würden wir an diesem Tag nicht verhungern. Das Wasser versuchten wir uns einzuteilen, wir tranken nur ab und zu einen kleinen Schluck, damit der Mund nicht so austrocknete. Marita fieberte und ihr Husten war in der Nacht schlimmer geworden. In der Welt draußen war es wunderschön. Manchmal richtete ich mich auf und sah hinaus. Die Sonne schien. Sie stieg hoch hinauf. Dann wurden die Strahlen wieder flacher und es dämmerte.
    Wir hatten den ganzen Tag kaum gesprochen. Thönges hörten wir manchmal nebenan, manchmal im oberen Stockwerk rumoren. Einmal schrie er wütend auf, gleich darauf folgte wieder das Geheul. Verzweifelt. Er war wahnsinnig. Jeden Moment konnte er über uns herfallen. Uns trennen. Eine von uns töten oder uns beide. Er hatte es bereits getan, daran bestand für mich kein Zweifel. Ich sagte Marita nicht, was ich gesehen hatte. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Und was hätte es auch genützt, wenn ich es ihr sagte? Wir konnten ohnehin nichts tun.
    Nein, dachte ich, wir können etwas tun. Und wir müssen etwas tun. Wir haben das Messer. Marita wird nicht mehr lange durchhalten.
    Ich wusste nicht, was ihr passieren konnte, wenn sie nicht behandelt wurde. Vielleicht hatte sie schon eine Lungenentzündung? Der Atem rasselte und ihr Husten klang schleimig. Sie fieberte. Ertrank man innerlich, wenn eine Lungenentzündung nicht behandelt wurde? Drohte Organversagen, wenn das Fieber weiter anstieg? Ich verfluchte meine Unwissenheit. Nicht, dass das etwas an unserer Situation ändern würde, aber ich konnte nicht einmal abschätzen, wie viel Zeit uns noch blieb.
    Die Kopfschmerzen quälten mich. Wieder wurde es dunkel und dann hell. Mein Magen fühlte sich an wie ein Loch, das sich durch mein Inneres fraß. Das Brot war aufgegessen und die Äpfel ebenfalls. Kein Wasser mehr. In meiner Mitte war es hohl. Mein Kopf brummte. Es war unerträglich. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, aus dem Fenster zu sehen. Es verstärkte nur die Qual, wenn ich erkannte, wie die Sonne erbarmungslos schien. Für alle anderen war schönes Wetter oder auch Regen. Für uns hier: nichts.
    Scheinbar hatte Thönges uns vergessen. Wir hörten ihn gelegentlich im Haus rumoren. Über uns oder nebenan. Ich ertappte mich dabei, wie ich erstmals dachte: Vielleicht ist es besser, wenn er dem Ganzen ein Ende setzt. Dann hatte ich die Messer vor Augen und den sich aufbäumenden Leib einer Unbekannten. Nein, ich wollte nicht sterben.
    Es war egal, ob ich die Lider schloss oder öffnete. Immer wieder schob das Entsetzliche sich vor meine

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