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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Irgendwann schliefen wir ein. In der darauffolgenden Nacht begann Marita zu husten.
    Als wir am nächsten Tag erwachten, meinem vierten in Gefangenschaft, wenn ich richtig mitgezählt hatte, war unsere Kleid ung nahezu getrocknet. Ich kniete mich auf die Matratze und zog den Vorhang beiseite.
    « Die Sonne scheint», sagte ich zu Marita, die sich mit offenen Augen zusammengerollt hatte. Ihre Augen glänzten. «Vielleicht lässt er uns heute hinaus. Dann wird uns wenigstens warm.»
    « Ich kann nicht mehr, Nora», sagte sie leise. Ihre Stimme war heiser und sie hustete erneut.
    Ich wandte mich von dem Fenster ab und setzte mich. Eine Hand legte ich auf Maritas Schulter.
    «Natürlich kannst du noch. Wir müssen uns etwas überlegen. Das muss doch zu schaffen sein, wir beide gegen einen.»
    « Wir brauchen eine Waffe», sagte sie.
    « Ja, das stimmt», antworte ich. «Aber was?»
    Sie schüttelte wortlos den Kopf und seufzte.
    «Komm, Marita, du kennst dich doch schon viel besser aus. Denk nach. Hast du in der ganzen Zeit hier irgendetwas gesehen … in der Scheune vielleicht?»
    « Nein. Da ist nichts. Der holt manchmal seinen dämlichen Stock. Geschlagen hat er mich damit nicht. Anscheinend will der uns damit nur einschüchtern. Hat ja auch geklappt. Man weiß einfach nicht, was er als nächstes tut. Das macht mich so fertig!»
    « Ich weiß. Aber irgendetwas müssen wir tun. Warum hat er dir eigentlich deine Kleidung weggenommen?»
    « Ich weiß es nicht. Einmal hatte er mich gebadet. Danach bekam ich das hier übergezogen.»
    Ihre Hand deute auf das fleckige Sackkleid. Es sah aus wie ein sehr altmodisches Umstandskleid. Vielleicht war es auch nur so unförmig, weil die Schneiderin sich nicht auf einen besseren Schnitt verstanden hatte. Auf jeden Fall sah es wie von Hand selbstgenäht aus. Doch Thönges war das kaum gewesen, dafür waren die Stiche wieder zu gleichmäßig. Ich hätte das so sicher nicht hinbekommen. Unförmig war das Kleidungsstück, aber doch mit sorgfältigen Nähten versehen.
    « Ich … Nora, ich muss dir was sagen.»
    « Was ist denn?»
    « Ich glaube … wir sind nicht die ersten hier.»
    « Wie kommst du darauf?»
    « Einmal, als er mich gebadet hat, also richtig, oben, in dem Badezimmer … oh Gott, das war so widerlich …»
    « Marita, was war denn dort? Nun sag es schon!»
    « Also abgesehen davon, dass es so dreckig war wie der Rest des Hauses, also wirklich, wie man so leben kann … Naja, jedenfalls habe ich da eine Tasche gesehen. Eine Handtasche.»
    «Ja, u nd?»
    « Na, wem kann die Tasche wohl gehört haben? Die war noch neu, einigermaßen jedenfalls. Nicht wie das andere Gerümpel hier. Die stand dort auf dem Boden an der Seite, neben der Toilette. Und jetzt frage ich dich: Wo ist die Frau, der die Tasche gehört?»
    Jetzt war es an mir, stumm den Kopf zu schütteln.
    «Siehst du. Der wird uns nicht ewig gefangen halten. Du hast ja gesehen, wie der ausgeflippt ist, als ich geblutet habe. Er kam mit seinem ekligen Striegel und ich sollte aufstehen und dann ist es mir das Bein hinuntergelaufen und er hat angefangen zu schreien und ist weggerannt. Und dann hat er nur noch gebrüllt und geheult.»
    « Ja, das habe ich gehört.»
    «Du hast doch mitbekommen, dass er mich immer es nennt. Oder uns beide. Das ist so krank! Es ist kaputt, es muss weg. Was glaubst du wohl, was er mit weg meint?»
    « Ich weiß es nicht.»
    « Nein, wir wissen es nicht. Aber ich sage dir, es hat vor uns andere gegeben. Und die sind nicht mehr hier. Also.»
    « Ich weiß.»
    «Wie meinst du das? Was weißt du?»
    «Nun , also … ich habe dir doch gesagt, dass ich von deinem Verschwinden in der Zeitung gelesen habe.»
    Marita nickte.
    «Und mein Freund, Oliver, der ist doch Polizist. Ich … ich wollte dich nicht noch mehr ängstigen … Ich weiß von Oliver, dass sie befürchten, dass ein Serientäter dahinterstecken könnte. Es hat so viele Vermisste gegeben in den letzten Monaten. Sie hatten nur keine Beweise. Nicht den geringsten Hinweis, niemand hatte etwas gesehen. Nichts. Ihr wart alle wie vom Erdboden verschluckt.»
    Wir , fügte ich in Gedanken hinzu. Nicht ihr seid wie vom Erdboden verschluckt, wir sind es. Ich bin auch verschluckt. Der Wald hat mich verschluckt.
    « Du … du hast es gewusst?»
    Marita rutschte ein Stück von mir weg und starrte mich entgeistert an. Ihre Wangen waren von einem ungesunden rosigen Hauch überzogen. Sie hustete und es dauerte einen Moment, ehe sie wieder sprechen

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