Nora Roberts
hineindrückte.
Michael
Adams, Jessica Winslows Mitarbeiter und gegenwärtiger Einkäufer.
Zweiunddreißig, Yale-Absolvent. Zahlen, überlegte Slade, eine Rauchwolke
ausstoßend, die sofort zum offenen Fenster hinauswehte. Sohn von Robert und
Marion Adams, ebenfalls eine Prominenten-Familie aus Connecticut. Kein sicherer
Anhaltspunkt, doch Slade war angewiesen worden, ihn im Augen zu behalten. Er
legte den Ellbogen aufs Fenster und dachte nach. Als Chefeinkäufer wäre Adams
in der idealen Position, die Operation in Übersee zu organisieren.
David Ryce,
seit achtzehn Monaten Verkäufer. Dreiundzwanzig. Sohn von Elizabeth Ryce, der
Haushälterin der Winslows. Dodson sagte, dass man ihm oft allein die Führung
des Geschäfts anvertraute. Das gäbe ihm Gelegenheit, die Transaktionen vor Ort
abzuwickeln.
Systematisch
ging Slade anschließend die Liste der Angestellten im Haus der Winslows durch.
Gärtner, Köchin, Haushälterin, Hausmädchen. Und das alles für eine einzige Person.
Jessica könnte wahrscheinlich nicht einmal ein Ei kochen, wenn ihr Leben davon
abhinge.
Die
Torflügel des Winslow-Anwesens standen weit offen. Die Durchfahrt war breit
genug für zwei Wagen. Slade bog in die lange, geschotterte Zufahrt ein, die von
blütenlosen Azaleenbüschen gesäumt wurde. Ein schrilles Vogelgezwitscher
empfing ihn, dann wurde es still. Er fuhr beinahe eine Viertelmeile, ehe er
den Wagen vor dem Haus parkte.
Es war
groß, aber dabei nicht bedrückend. Sonne und Meerluft hatten die alten
Backsteinziegel verwittern lassen. Aus einem der Schornsteine des Walmdachs
stieg Rauch auf. Die grauen Fensterläden waren nicht nur Dekoration, bemerkte
er, sondern boten auch ausreichend Schutz, wenn ein Sturm aufkam. Er roch die
Chrysanthemen, noch ehe er sie sah.
Sie wuchsen
knapp an der Hausmauer, und die kupfer-, gold- und rostfarbenen riesigen Blüten
bildeten einen angenehmen Kontrast zu den knallroten Büschen dahinter. Sie heiterten
ihn auf, ebenso wie der schwache Geruch nach Holzfeuer. Hier herrschte keine
Trägheit, sondern Frieden. Davon hatte er in letzter Zeit viel zu wenig gehabt,
sinnierte er und vertrieb seine Stimmung mit einem Kopfschütteln, als er die
Stufen zum Eingang emporstieg. Er machte eine Faust und klopfte zwei Mal hart
gegen die schwere Holztür. Er hasste Türklingeln.
In weniger
als einer Minute wurde die Tür geöffnet. Er musste den Kopf senken, ein ganzes
Stück, um die winzige, mittelalte Frau mit einem sympathisch hässlichen Gesicht
und grau meliertem Haar anzusehen. Ein Hauch von Reinigungsmittel mit
Tannenduft umwehte sie, der ihn an die Küche seiner Mutter erinnerte.
»Zu wem
möchten Sie?«, erkundigte sie sich mit dem typisch breiten
New-England-Dialekt.
»Ich bin
James Sladerman. Miss Winslow erwartet mich.«
Die Frau
musterte ihn mit wachsamen, schwarzen Augen. »Sie müssen der Schriftsteller
sein«, stellte sie fest, offenbar nicht übermäßig beeindruckt. Sie machte einen
Schritt zurück, um ihn eintreten zu lassen.
Als sich
die Tür hinter ihm schloss, blickte Slade sich in der Diele um. Dem hellen, auf
Hochglanz gebohnerten Eichenboden, den kein Teppich bedeckte, sah man die
Jahre trotz der sorgfältigen Pflege an. An den hellbeige tapezierten Wänden
hingen vereinzelt Gemälde. Auf einem hohen, runden Tisch stand eine hellgrüne
Glasvase mit einem üppigen Herbstblumenstrauß. Er fand keine protzige
Zurschaustellung von Reichtum, aber er spürte ihn. Er hatte ein Foto des
Gemäldes zu seiner Rechten in einem Kunstband gesehen. Der blaue Schal, der
nachlässig über dem Treppengeländer hing, war aus Seide.
Slade
wollte sich gerade wieder zu der Haushälterin umdrehen, als ein Poltern oben
an der Treppe ihn in der Bewegung innehalten ließ.
Ein
Wirbelwind aus blonden Haaren und fliegenden Röcken kam die Holztreppe
herabgefegt. Das Klappern von Absätzen zerriss die Stille des Hauses. Slades
erster Eindruck beschränkte sich auf Geschwindigkeit, Bewegung und Energie.
»Betsy, du
sorgst dafür, dass David im Bett bleibt, bis das Fieber runter ist. Lass ihn ja
nicht aufstehen. Verdammt, verdammt, ich bin schon viel zu spät dran! Wo sind
meine Schlüssel?«
Einen
Schritt vor Slade blieb sie so abrupt stehen, dass sie beinahe das
Gleichgewicht verloren hätte. Automatisch griff er nach ihrem Arm, um sie zu
stützen. Heftig atmend hob sie den Blick von seiner Hemdbrust und starrte ihn
an.
Es war ein
exquisites Gesicht – heller Elfenbeinteint, oval, fein geschnitten, mit
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