Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
Axel. Malin betrachtete ihn im Rückspiegel. Er blinzelte einige Male, schien dann aber wieder einzuschlafen.
»Hallo, hier wohnen wir«, rief Henrik leise.
Malin trat kräftig auf die Bremse, und die Kinder wimmerten im Schlaf und murmelten unverständliche Worte. Sie fand es immer wieder schwierig, sich in der Dunkelheit auf der Insel zurechtzufinden. Obwohl die Straße schnurgerade war und die Landschaft vollkommen flach, stand das Schild ganz plötzlich ohne Vorwarnung da.
Sie bog mit dem großen Jeep nach links ab, und bald fuhren sie ratternd über das erste Viehgitter. Am Scheppern der Roste konnte sie erkennen, wie weit sie waren. Sie zählte mit. Nach dem vierten mussten sie rechts ab.
Als Malin das Haus betrat, merkte sie sofort, dass jemand hier gewesen war. Schaudernd drehte sie sich zu Henrik um, der mit Axel auf dem Arm hinter ihr stand, doch dann fiel ihr wieder ein, dass alles in Ordnung war. Einen Augenblick lang hatte sie es vergessen: Sie hatten das Haus vermietet, an drei verschiedene Mieter innerhalb der vier Wochen, in denen sie verschiedene Freunde und Verwandte besuchten. Sechsundzwanzigtausend Kronen nach Abzug der Provision. Sie brauchten das Geld.
Henrik ging wieder nach draußen, um das Gepäck aus dem Auto zu holen. Malin hatte Axel übernommen und trug ihn die knarrende Treppe hinauf, während Ellen müde neben ihr herstapfte.
Im Kinderzimmer roch es merkwürdig. War das der fremdartige Duft der Mieter? Der Geruch hatte eine bittere Note. Sie legte Axel auf Ellens Bett, öffnete das Fenster einen Spalt und befestigte es mit dem Haken. Ein leichter Wind wehte den schweren, aber angenehmen Duft von Spätsommergarten herein. Gras, Tomaten und wilder Majoran.
Ellen saß auf dem Fußboden und kramte in dem Korb mit ihren Spielsachen, von denen sie einen ganzen Monat lang getrennt gewesen war. Malin holte Bettwäsche und bezog Axel das Bett. Er schlief tief, vollkommen entspannt. Arme und Beine fielen kraftlos auf den Bettüberwurf, während sie ihn auszog und schließlich fest zudeckte.
Ellen hielt ihr strahlend ein Stoffkaninchen hin. Malin lächelte ihre Tochter an und rümpfte gleichzeitig die Nase. Unter dem Duft von frischem Grün lag immer noch der fremde Geruch.
»Hast du Hunger, willst du etwas essen?«, fragte sie.
»Weiß nicht«, erwiderte Ellen schwer beschäftigt.
Malin ging nach unten. Henrik saß in der dunklen Küche und fummelte an seinem iPhone herum. Der rechte Daumen wischte über das Display, während er sich mit der linken Hand die widerspenstigen dunklen Haare aus dem Gesicht strich. Mitten im Raum hatte er einen schmutzigen Wäscheberg aufgehäuft.
Manchmal beneidete sie ihn um die Fähigkeit, seine Umgebung auszublenden. Meistens aber ärgerte sie sich darüber. Als sie zu Besuch bei seinen Freunden auf dem Festland gewesen waren, schien es, als hätte er einen Schalter umgelegt. Da gab es nur noch Bier und Gequatsche über Arbeit, Fisch, Fußball, noch mehr Bier und Männergespräche über alte Zeiten oder elend langweilige Diskussionen über Hausrenovierungen.
Schließlich musste sie ihn daran erinnern, dass er zwei Kinder hatte, die darauf angewiesen waren, dass man sie versorgte und ernährte oder zumindest beaufsichtigte, damit sie nicht ins Wasser fielen und ertranken. Da hatten sie zu streiten begonnen.
Malin machte die Lichter an der Decke und über der Arbeitsplatte an.
»Möchtest du einen Tee?«, fragte sie.
»Was?« Henrik blickte auf. Mund und Kinn wurden von dem bläulichen Schimmer des Handys angestrahlt.
»Tee?«, wiederholte sie.
»Klar, gerne, aber nicht so einen Roibusch-Scheiß, bitte.«
Malin beugte sich zur Schublade mit den Töpfen hinunter und stützte sich an der klebrigen Arbeitsplatte ab. Krümel blieben an ihrer Handfläche hängen.
»So ein Mist«, seufzte sie.
Henrik reagierte nicht. Sie sah sich nach dem Lappen um, konnte ihn aber nicht finden. Als sie die Schranktür unter dem Spülbecken öffnete, um sich einen frischen zu nehmen, entdeckte sie eine halb volle Mülltüte.
»Mann, habe ich das satt.«
»Was ist denn?«, fragte Henrik zerstreut.
»Die haben gar nicht richtig sauber gemacht.«
Erst jetzt blickte er auf.
»Dann müssen sie eine Reinigungsfirma bezahlen. So steht es im Vertrag.«
»Und wer sorgt dafür, dass sie die Rechnung auch bezahlen? Kümmerst du dich darum?«
»Wir rufen die Vermittlung an. Die soll das machen.«
Malin wischte die Arbeitsplatte mit einem neuen Lappen ab. Nachdem sie ihn
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