Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
ausgewrungen und über den Wasserhahn gehängt hatte, hatte sie eine plötzliche Eingebung und öffnete einen Küchenschrank. Hastig ließ sie ihren Blick über Gläser und Kaffeetassen schweifen.
»Das darf nicht wahr sein!«
Der Reihe nach öffnete sie nun die Schränke mit Gläsern und Geschirr und auch das alte Küchenbüfett ihrer Großmutter.
»In jedem Schrank fehlt etwas.«
»Ein bisschen Schwund ist immer.«
»Was meinst du mit Schwund?«
»Uns gehen doch auch Sachen kaputt. Das ein oder andere Glas kann man verschmerzen.«
»Aber hier geht es nicht um das eine oder andere. Hier fehlt jede Menge.«
Sie fing an zu zählen, wusste aber nicht mehr genau, wie viel sie wovon besessen hatten. »Wenn man etwas kaputt gemacht hat, bezahlt man es. Oder man schreibt zumindest einen Zettel.«
»Vielleicht haben sie uns ja bei der Vermittlung eine Nachricht hinterlassen. Ich rufe da morgen an.«
»So eine Scheiße.«
Vor Wut knallte sie den Topf so heftig auf den Herd, dass das Wasser überschwappte. Henrik legte das Handy beiseite und sah sie an.
»Immerhin haben wir sechsundzwanzigtausend daran verdient.«
Sie hatten viel in den Umzug nach Fårö investiert. Geld, ihren persönlichen Einsatz, ihre Zukunft. Von Anfang an hatte Malin darauf gedrungen, dass sie ein Haus kauften, aber dabei hatte sie an Nacka, Enskede oder womöglich Värmdö gedacht, Orte, an denen sie sich zu Hause fühlen konnte. Aber doch nicht Gotland, mitten in der Ostsee. Beziehungsweise Fårö. Inzwischen hatte sie gelernt, zwischen Fårö und der Hauptinsel zu unterscheiden.
Als sie damals in Nynäshamn auf die Fähre gefahren waren, war Malin nicht nur skeptisch, sondern geradezu widerwillig gewesen. Wollte Henrik wirklich dorthin zurück? Nach siebzehn Jahren? Trotzdem gab sie sich geschlagen, noch bevor sie das Haus erreicht hatten. Die Landschaft, die sich hinter der Fåröer Kirche zum glitzernden Meer hin öffnete, verschlug ihr den Atem.
Das Haus in Kalbjerga lag hübsch am Fuße eines kleinen Abhangs und hatte einen typischen gotländischen Grundriss, wirkte aber aufgrund seines Mansardendachs ein wenig ungewöhnlich. Es hatte einem Kollegen von Henrik gehört, der es seinerseits von Ingmar Bergman übernommen hatte. Angeblich hatte dessen Haushälterin darin gewohnt. In der großen Scheune, die der Regisseur zum Proben genutzt hatte, stand sogar noch eine alte Kulisse, es war aber unklar, aus welchem Film sie stammte.
Bald hatte sich der Vorschlag, die Kulisse bei Christie’s zu versteigern, falls alles schiefginge, zu einem Running Gag zwischen ihnen entwickelt. Im Moment war das aber eher eine letzte Hoffnung, an die man sich verzweifelt klammerte, als ein Scherz.
Sie hatten das Haus renoviert, die Scheune zum Studio umgebaut und in dem großen, aber einfachen Wirtschaftsgebäude Apartments für Fotografen eingerichtet. Wenn alles nach Plan lief, könnte Henrik nicht nur einen Großteil seiner Arbeit auf Fårö machen, sondern sie würden auch Fotografen aus aller Herren Länder hierherlocken. Fotografen und Models würden in den Apartments wohnen und im Studio und natürlich vor allem in der dramatisch schönen Natur arbeiten können, die einen der bedeutendsten Filmregisseure der Welt inspiriert hatte.
Warum nicht?, hatten sie gedacht. Schließlich pilgerten schwedische und amerikanische Fotografen bis nach Indien, nur um Models aus der westlichen Hemisphäre im richtigen Sonnenlicht zu fotografieren.
Sie nahmen einen Kredit auf und beauftragten Handwerker. Es lief wie geschmiert. Und dann kam die Wirtschaftskrise.
Als ein Unternehmen nach dem anderen die Marketingausgaben kürzte, stürzte die Werbebranche ab. Malin und Henrik mussten die Notbremse ziehen. Konkret bedeutete das, dass sie die Handwerker nach Hause schicken und das Geld, das sie noch nicht ausgegeben hatten, zurückzahlen mussten.
Und an diesem Punkt standen sie nun. Sie waren zwar nicht vollkommen am Ende, noch mussten sie nicht bei Christie’s anrufen. Doch Malin wusste, dass Henrik nachts wach lag. Er jonglierte mit Zinsniveaus, schwankte zwischen Horrorszenarien und Wunschphantasien und rechnete sich aus, wo die Schmerzgrenze lag. Sie selbst versuchte, nicht an Geld zu denken.
Die Kredite konnten sie nur bedienen, weil Henrik auch Aufträge auf dem Festland und im Ausland annahm. Obwohl sie sich das ganz anders vorgestellt hatte. Immerhin brachte auch Malins Kochblog einiges ein. Sie hofften, dass sie so das Geld zusammenbringen würden, um
Weitere Kostenlose Bücher