Nore Brand 03 - Racheläuten
hinunter. Ich weiß nicht, wie lang ich gerannt bin. Es war so ein verdammter Nebel an jenem Abend. Aber ich war froh darum. Keiner konnte mich gesehen haben.« Er schaute zu Nore Brand. »Aber Sie müssen mir glauben, ich weiß nicht, warum er am nächsten Morgen tot im Bärengraben lag.«
Nore Brand steckte das Notizbuch langsam in ihre Jackentasche. »So, und jetzt, Herr Weissen, kommen wir zu Ihnen.«
Remi Weissen schien verblüfft. Er lächelte kurz und schob eine Strähne aus der Stirn. »Zu mir? Warum denn?«
Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf.
»An jenem Abend verfolgten Sie Federico Meier und Max Lebeau. Meier wollte auch Sie treffen für gewisse Abmachungen. Auch Sie hatten sich aus der Firmenkasse bedient. Auch Sie hatten eine Affäre mit Henriette. An jenem Abend sind Sie Meier gefolgt. Sie wollten wissen, was er trieb, das wissen wir inzwischen, Sie kontrollierten jeden seiner Schritte. Auch Federico gehörte zu den Menschen, die sie kontrollierten. Sie beobachteten die beiden. Sie sahen Meier am Boden liegen, und das war Ihre Chance. Als Sie sich näherten, sahen Sie, wie er sich langsam wieder aufrichtete. Er war benommen vom Sturz, doch er sah Sie und griff nach der Pistole in seiner Jackentasche. Sie warfen sich auf ihn, drückten die Hand mit der Waffe an seine Schläfe und zwangen ihn, abzudrücken.«
Remi Weissens Kiefer fiel herunter.
»Wir haben eine Zeugin gefunden«, fuhr sie fort. »Eine Aushilfe im Tramdepot hat draußen geraucht. Als sie den Streit hörte, trat sie näher. Außerdem gibt es Spuren. Die DNA-Analyse wird den Hergang der Tat beweisen.«
Eine Weile blieb es totenstill. Die Geräusche im Terminal schienen weit weggerückt.
Nore Brand bemerkte, dass Nino Zoppa sich ganz unauffällig genähert hatte. Er stand in Hörweite.
»Remi, so sag doch etwas!«, befahl Oskar Schmied mit heiserer Stimme.
Remi Weissen starrte Nore Brand fassungslos an.
Sein Blick ging zu seinem Schwiegervater. »Einer von uns musste doch schauen, dass es weitergeht. Du warst völlig vernarrt in Federico. Du hast mit ihm Wein getrunken und geplaudert, wie du das nie mit mir gemacht hast. Federico hin, Federico her – du hast nur noch von ihm geredet. Die Firma würde in der Familie bleiben. Dabei habe ich mich all die Jahre angestrengt, aber das hat nicht gezählt. Ich war für dich nie ein richtiger Teil der Familie. Ich war eine Notlösung. Und dann, als plötzlich der Enkel da war, war ich für dich gestorben. Aber der kleine Federico wäre völlig überfordert gewesen mit dem Betrieb, der wollte nur das schnelle Geld.«
Remi Weissen verstummte, dann drehte er sich langsam zu Max Lebeau. »Ich hätte dich ans Messer geliefert. Das tut mir mehr leid als das, was ich Federico angetan habe.«
»Remi, hör bitte auf, so zu reden«, bat Max Lebeau, »das ist ja grauenhaft, so bist du doch nicht.«
»Nein, früher war ich nicht so!«, stieß Remi Weissen hervor.
Plötzlich schoss er von seinem Stuhl hoch, schaute sich hektisch um, rannte auf den Kollegen von der Flughafenpolizei zu, packte ihn und riss ihm die Pistole aus dem Gürtel.
»Bleibt alle stehen, wo ihr seid!«, brüllte er und hob die Waffe vor sein Gesicht.
Er schaute sich suchend um. Eine Flugbegleiterin war zu Tode erschrocken in seiner Nähe stehen geblieben. Er packte sie beim Handgelenk und riss sie zu sich heran.
»Ich gehe jetzt ins Flugzeug! Sie kommt mit!«
Nore Brand erhob sich vom Stuhl. Sie bewegte sich vorsichtig, sie ließ ihn nicht aus den Augen. Remi Weissen war unberechenbar. Dass sie keinen Augenblick an eine Eskalation gedacht hatte. Dabei hätte sie genau das voraussehen müssen.
»Setzen Sie sich!«, brüllte er ihr zu.
Sie gehorchte. »Herr Weissen!«, rief sie beschwörend. »Wir tun genau das, was Sie sagen! Beruhigen Sie sich!«
Remi Weissen ging Schritt für Schritt durch die Abfertigungshalle, in seinen Armen die Flugbegleiterin, die nicht begriff, was ihr geschah.
»Machen Sie Platz!«, rief Nore Brand, »machen Sie Platz und keine Bewegung!«
Die Passagiere blieben furchtsam stehen.
Sie schaute machtlos zu, wie Remi Weissen die Halle mit seiner Geisel verließ. Sie sah, wie er auf die wartende Maschine zuging und die Treppe erreichte. Dann stand er oben; er hielt immer noch die Pistole vor seinem Gesicht.
Mit einem Satz rannte sie los.
Sie hörte nichts; er schien sie nicht bemerkt zu haben. Weissen musste so viele Menschen in Schach halten. Unter dem Rumpf der Maschine fand sie
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