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Nore Brand 03 - Racheläuten

Nore Brand 03 - Racheläuten

Titel: Nore Brand 03 - Racheläuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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gesehen?«
    »Ich habe ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen.«
    Sie auch nicht.
    Sie startete den Motor und fuhr los. Sie fühlte sich noch immer wie gelähmt.
    »Weissen war außer sich, weil der Kapitän noch nicht an Bord war. Da dachte ich an die Kühe. Ich habe ihm gesagt, dass man nicht starten kann wegen Kühen auf der Startpiste.«
    »Kühe?«, fragte Nino ungläubig.
    »Ja, Kühe. Das hat ihn abgelenkt und er schaute hin!«
    »Wie kommst du auf Kühe?«
    Sie lachte und schüttelte den Kopf. Dass ihr genau das eingefallen war. In allerhöchster Not.
    »Ich habe einmal so etwas in der Zeitung gelesen. Vor Jahren war das. Irgendwo in Südamerika kam es zu einem Unfall wegen Kühen auf der Landebahn. Ich habe keine Ahnung, warum mir das plötzlich einfiel.«
    »Zeitungen. Was doch alles in Zeitungen steht. Vielleicht sollte ich auch wieder mal …« Nino Zoppa verstummte.
    »Kühe auf der Startbahn«, murmelte er plötzlich, »da hätte garantiert jeder hingeschaut, ich auch.«
    Sie näherten sich der großen Kurve. Als Nore Brand die Kühe sah, drosselte sie das Tempo.
    Nino Zoppa salutierte und winkte den Kühen zu.
    Dann versank er wieder in Schweigen.
    Auf der Autobahn schwieg er immer noch.
    Sie warf ihm einen Blick zu. »Was ist?«
    »Ich habe genug von dieser Arbeit!«
    Dann saß er da und kaute auf einem Fingernagel.
    Sie wartete.
    »Ich hatte plötzlich grauenhafte Angst.« Er drehte sich mit einem Ruck zu ihr. »Und du?«
    Sie hielt ihren Blick auf die Fahrbahn gerichtet. »Ich auch. Aber immer erst, wenn es vorbei ist.«
    Die Angst wurde nicht kleiner mit den Jahren. Im Gegenteil. Sie hatte nie damit gerechnet. Man musste diese Gefühle doch irgendwann im Griff haben.
    Nino räusperte sich.
    »Weißt du, was ich noch unangenehmer finde?«
    »Nein«, erwiderte sie. Wie sollte sie auch.
    Nino Zoppa schluckte. »Ich fand diesen Remi Weissen von Anfang an widerlich, aber jetzt, wo klar ist, was er getan hat, verstehe ich ihn. Ich habe fast alles gehört.« Nino faltete seine Hände und klemmte sie zwischen seine Knie. Das tat er, wenn seine Hände vor Aufregung zitterten.
    »Der Kerl kämpft ein Leben lang um Anerkennung. Ein Leben lang, und er wird nicht ernst genommen. Dann kommt plötzlich ein anderer daher und stellt sich ihm in den Weg, vor die Sonne. Er war einfach der Enkel. Sonst nichts«, sagte er, »und dann erhält Weissen eine Gelegenheit, und er dreht durch. Es wäre erstaunlich, wenn einer da nicht durchdrehen würde, oder?«
    Nore Brand überholte einen Vieh-Transporter.
    »Affekt meinst du. Es war aber mehr als das. Weissen hat kontrolliert, beobachtet und geplant.«
    »Trotzdem, ich kann verstehen, dass der Kerl das gemacht hat, ich verstehe sogar, wie er sich gefühlt hat dabei. Das macht mir noch mehr Angst, als wenn so ein Kerl wie ein Wahnsinniger mit der Pistole herumfuchtelt.«
    Er drehte sich zu ihr.
    »Nore, wie kann ich Polizist sein, wenn ich einen Mörder verstehe?«
    Sie schwieg.
    Sie kannte das, aber sie konnte ihm nicht helfen. Er musste da selber hindurch. Sie konnte ihm vielleicht sagen, dass auch sie nachvollziehen konnte, was geschehen war. Doch sie konnte nicht sagen, dass sie oft nicht wusste, worin die Gerechtigkeit nun genau bestand. Man begann an Paragrafen zu zweifeln, wenn man genau hinschaute. Genau wie das Monströse sich nach und nach auflöste, sobald man begann, sich mit diesen Menschen zu beschäftigen.
    Nino saß da und kaute verzweifelt an seinen Nägeln.
    Sie nahm den Fuß vom Gaspedal.
    »Du verstehst, was in ihm vermutlich vorging und warum es zum Äussersten gekommen ist. Aber du findest das doch nicht in Ordnung, oder?«
    Er warf ihr einen skeptischen Blick zu.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er widerstrebend.
    Dann hörte sie ihn leise aufstöhnen.
    »Als er so dasaß und seinem Schwiegervater die Sache mit dem Enkel erklärt hat, da hat er mir einfach leidgetan.«
    »Wie siehst du es jetzt?«, fragte sie. »Er hat seinen Konkurrenten aus dem Weg geräumt, indem er ihn tötete. Ich verstehe vielleicht seine Verzweiflung und Wut. Aber seine Handlung? Den Mord?«
    Nino antwortete nicht.
    »Aber das mit dem Zeugen, das war ein gefährlicher Bluff«, er brauchte ein neues Thema, »es gab doch niemanden. Und Spuren auch nicht. Das hast du erfunden.«
    »Nicht ganz, man wird Spuren finden. Bruder Klaus ist dran.«
    Sie warf ihm einen Blick zu. »Mitten im Gespräch war ich mir plötzlich sicher, ich sah auf einmal, was vor sich gegangen war.

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