Nosferatu 2055
in ein thailändisches Restaurant in der Nähe des Times Square. Teufel, dachte er belustigt, vielleicht könnte ich einem dieser Burschen von Knight Errant, die hier überall herumhängen, auf die Schulter klopfen und ihn dazu bringen, die Rechnung zu übernehmen.
Fünf Minuten, nachdem er an einem Tisch im Little Home Thai Platz genommen hatte, fühlte sich Serrin plötzlich von allen Leuten in dem Restaurant beobachtet. Als er sich verstohlen umsah, entdeckte er plötzlich zwei Männer in Anzügen, die einem Kellner Geld in die Hand drückten und dann an seinen Tisch kamen. Er wäre fast in Panik geraten, zwang sich jedoch zu der Überlegung, daß es sich bei den beiden wohl nicht um rachedurstige Attentäter handeln konnte. Man wird nicht umgelegt, weil man jemanden davor bewahrt hat, umgelegt zu werden, sagte er sich. Oder doch? Wenigstens sahen die beiden nicht wie Araber aus ...
»Mr. Shamandar«, sagte einer der beiden mit einer beachtlichen Portion geheuchelter Aufrichtigkeit in der Stimme, während er unaufgefordert an seinem Tisch Platz nahm. »Ich bin Dan McEwan von der Times, und das ist mein Fotograf, Randy Simmons.« Simmons, der mit seinem altmodischen Schnurrbart wie eine verlegene Hyäne grinste, nickte grüßend und hob die Kamera, die um seinen Hals hing. »Wir würden ganz gerne für einen Artikel über Sie ein paar Fotos von Ihnen machen, während ich Ihnen ein paar kurze Fragen stelle. Wir werden uns bemühen, Sie nicht beim Essen zu stören.«
Serrin wollte schon knurren, »Verpißt euch«, doch dann wurde ihm klar, daß er eine Erklärung hören wollte. »Worum geht es überhaupt?«
»Um Ihre heroische Tat natürlich«, sagte McEwan, wobei er fast eine sichtbare Schleimspur auf dem Teppich hinterließ. »Die ganze Stadt spricht noch davon, obwohl schon drei Tage vergangen sind. Sie wissen schon, von dem geheimnisvollen Magier mit dem gehetzten Blick.«
Die Medien haben kein Bild von Ihnen machen können, sagte Julias Stimme in seinem Hinterkopf. Voller Panik hielt er sich die rote Serviette vor das Gesicht und rannte zur Tür. Gehetzter Blick, am Arsch, dachte er.
»Bloß weg von hier!« sagte er zu dem Troll-Fahrer, als er zwei Minuten später in ein Taxi sprang. Mittlerweile sah es so aus, als seien mindestens ein Dutzend Fotografen und Mediengeier am Schauplatz aufgetaucht. Er gab sich alle Mühe, nicht daran zu denken, wie albern er mit den durchweichten, zerfledderten Überresten einer Papierserviette im Gesicht aussehen mußte. »Zum Flughafen. Fahren Sie ein paar Umwege. Und kümmern Sie sich nicht um das Taxameter.«
»Ich liebe Leute, die so was zu mir sagen, Chummer«, grinste der Troll, um dann davonzuschießen wie eine Teufelsratte auf BTL.
Als sie am Flughafen ankamen, schien dort niemand auf Serrin zu warten, aber er ging davon aus, daß irgendwo ein eifriger Schnüffler nach ihm Ausschau halten würde, nur für alle Fälle. Ein rascher Blick auf die Abflugtafel verriet ihm, daß der nächste Inlandflug erst in fünfunddreißig Minuten und der nächste Flug nach Seattle sogar erst in zwei Stunden ging.
»Welcher Flug ist der nächste?« schnauzte er die Frau hinter dem Schalter von British Airways an.
Sie musterte ihn verblüfft und fragte: »Wie bitte? Egal, wohin?«
»Sie haben's erfaßt«, sagte er, sich hektisch umsehend.
»Sind Sie in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Ich werde Ihnen nichts tun«, sagte Serrin müde, während seine Augen die Hand der Frau verfolgten, die unter dem Schalter verschwand und vermutlich nach einem Alarmknopf tastete. Dann bemerkte er die Zeitung, die dort lag.
»Ich versuche nur, den Reportern zu entkommen«, sagte er, auf sein Gesicht deutend, das fast die gesamte Titelseite einnahm. Sie betrachtete das Bild, dann wieder ihn, und ihre Augen weiteten sich.
»Frankfurt oder Kapstadt. In zehn Minuten«, sagte sie, während er ihre Newsweek nahm, um sich sein Bild genauer anzusehen. Julia war es irgendwie gelungen, ein paar Fotos von ihm zu machen, wie er entspannt und beinahe lächelnd auf ihrem kleinen Balkon saß. Offenbar hatte sich ein talentierter Bildgestalter zumindest eines Fotos angenommen. Das Schmierblatt hatte augenscheinlich keine Skrupel, den Drek, den es veröffentlichte, aufzupolieren. Serrin Shamandar mochte nicht allzu gut aussehen, aber das Bild wies immer noch eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm auf.
All seine Shadowrunner-Instinkte schrien ihm zu, daß es höchste Zeit war, aus der Stadt zu
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