Notaufnahme
in der Lage, eine Routineoperation hinzubekommen. Und Sie, junge Dame«, bemerkte er mit Blick auf mich, »tragen auch nicht gerade zur Beruhigung bei. Sobald ein Anwalt auf der Bildfläche erscheint, geraten viele Arzte in Panik – die schlechten Witze über das Misstrauen zwischen diesen beiden Berufsgruppen sind schon fast Realität geworden. Ich habe mich bemüht, meinen Leuten klarzumachen, dass Sie nichts mit der Verfolgung von Kunstfehlern zu tun haben, sondern lediglich Staatsanwältin sind.«
»Wir hoffen, dass Sie uns einiges über Dr. Dogen erzählen können«, begann ich. »Es ist schwierig, etwas über sie zu erfahren. Sie schien sehr verschlossen gewesen zu sein.«
»Das war sie allerdings. Ich kann Ihnen sicher einige Informationen beruflicher Art geben, und Dr. Babson, mit der Sie ja später noch sprechen werden, weiß gewiss das eine oder andere über ihr Privatleben. Gemma kam vor mir ans Mid-Manhattan, vor etwa zehn Jahren. Einen Ruf von dieser Abteilung zu bekommen und sie schließlich zu leiten, ist für eine Frau – nein, eigentlich für jeden – ein großer Erfolg. Sie war ein brillanter Kopf und auf ihrem Fachgebiet ausgesprochen innovativ.«
Es folgte eine zwanzigminütige lebhafte Schilderung des Eifers und der Begeisterung, mit der Dogen die neurochirurgische Fakultät des Minuit aufgebaut hatte und die Studenten für die Facharztausbildung auswählte.
Als Chapman genug Lobpreisungen gehört hatte, unterbrach er Spectors Bericht. »Gut, das war also Gemma Dogen, die Märtyrerin. Und wer wollte sie aus dem Weg räumen?«
Überrascht von dieser Frage, ließ sich Spector in seinen Sessel zurücksinken. »Soll ich mich selbst an die erste Position dieser Liste setzen, oder wäre das unbescheiden?«
»Ganz wie Sie meinen.«
»Sie haben wahrscheinlich schon von den Gerüchten gehört. Gemma plante, zurück nach England zu gehen, und die Chancen, dass ich ihre Nachfolge antreten würde, standen gar nicht schlecht. Vorausgesetzt natürlich, Bill Dietrich und seine Leute hätten die Stelle nicht über meinen Kopf hinweg mit jemandem von außerhalb besetzt.«
»Wie sicher war es denn, dass sie gehen würde?« fragte Mercer.
»Ganz genau wusste das keiner. Sie hat zu diesem Thema wie zu allem anderen, was sie tat, nicht viel rausgelassen. Ich weiss, dass sie nach ihrer letzten Bosnien-Reise einen Zwischenstop zu Hause in London eingelegt hatte. Von Freunden an der Universität habe ich gehört, dass man sie dort mit offenen Armen empfangen hätte. Wegen ihrer großen Verdienste. Und natürlich«, fügte er mit einem verständnisheischenden Nicken in meine Richtung an, »aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau war.«
»Bis wann hätte sie ihre Entscheidung fällen müssen?«
»In den nächsten Wochen stehen hier eine Menge Entscheidungen an. Bis zum fünfzehnten April, um genau zu sein. Bis zu diesem Datum muss die Fakultät die Personalverträge für den kommenden Herbst gemacht haben, und bis dahin entscheiden wir, welche Studenten an der neurochirurgischen Facharztausbildung teilnehmen dürfen. Genaueres darüber erfahren Sie von Dietrich; seine Abteilung ist verantwortlich für alle administrativen Entscheidungen.«
»Ja, wir haben bereits …«
» Allerdings sollten Sie das, was er sagt, mit Vorsicht genießen. Er hatte eine Schwäche für Gemma – auch noch nachdem sie sich vor ein paar Monaten getrennt hatten.«
Wir waren zu abgebrüht, um uns von dieser Bombe zu einer Reaktion oder einem Kommentar verleiten zu lassen.
Ohne mit der Wimper zu zucken, stellte Mike Spector die nächste Frage. »Also werden Sie im nächsten Monat voraussichtlich die Leitung der Abteilung übernehmen. Wie wird sich dadurch Ihr Leben verändern, Doc?«
»Wenn Sie mir diese Frage als einem potentiellen Verdächtigen stellen, Mr. Chapman, muss ich Ihnen antworten: So gut wie gar nicht.«
»Gehaltsmäßig?«
» Keine Veränderung. Sollte ich mir eines Tages eine Privatpraxis zulegen, kann ich höhere Honorare verlangen, aber hier im Krankenhaus wirkt sich die Beförderung finanziell nicht aus. Hier geht’s nur um den Titel und ums Prestige.«
»Aber Sie wollen den Job, oder etwa nicht?«
»Natürlich. Ich wäre verrückt, wenn ich ihn nicht wollte. Schauen Sie, ich will offen zu Ihnen sein: Schon jetzt betrachten viele diese Abteilung als meine Abteilung. Dogen hat sich immer mehr zurückgezogen, hat sich vom Tagesgeschäft entfernt, weil sie die meiste Zeit in irgendwelchen
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