Notizen aus Homs (German Edition)
«-Rufen hoch. Sie legen ihn vor die qibla- Wand, der Vater und der Bruder stehen genau davor, der Rest der Gläubigen reiht sich hinter ihnen auf. Der Imam spricht vor, die Gläubigen sprechen nach: »Es gibt keinen Gott außer Gott.« Dann tritt er auf die Seite der Gläubigen und führt das Gebet an. Er wiederholt » Allahu akbar «, aber das Gebet ist schweigend. Danach preist die Gemeinde die Engel und nimmt den Leichnam hoch, während sie singt: » La ilaha …«
Auf der Straße kleine Demonstration. Die Jugendlichen stehen auf einer Mauer und brüllen Parolen, während der Katafalk ein paar Runden dreht. Dann zieht die Menge los durch die kleinen Gassen, zwei Jugendliche führen auf den Schultern anderer Jugendlicher die Rufe an, FSA-Soldaten schießen in die Luft, erst mit Pistolen, dann mit Kalaschnikows, eine schwarz verschleierte Frau schaut weinend zu. In der Nähe des Friedhofs entfernt sich die FSA-Eskorte von der Menge, ein Dutzend Männer in Uniform, mit einer RPG. Schüsse in die Luft, wir gehen zwischen den Gräbern hindurch, der Matsch klebt an den Füßen, das Grab ist fertig, mit Hohlbetonblöcken auf dem Grund. Schüsse in die Luft, der Leichnam wird hochgehoben und in die Erde gesenkt, der Bruder weint, der Vater presst sich mit blassem Gesicht an die Mauer. Ein Totengräber umgibt und bedeckt den Leichnam mit Hohlbetonblöcken. Der Vater tritt näher und spricht ein kurzes Gebet für seinen Sohn. Alle gehen zurück auf die Straße, die Familie stellt sich in einer Reihe auf, und die Angehörigen und Freunde gehen vorbei und geben ihnen die Hand und umarmen sie. Ich gehe auch zu ihnen. Dann Raed.
Die Aktivisten schlagen dann vor, uns eine weitere Grausamkeit zu zeigen, ich verstehe nicht genau, was und wo. Aber auf dem Weg dorthin wird der Plan durchkreuzt. Wir finden uns schließlich in dem Viertel Karm az-Zaitun wieder, südöstlich der Zitadelle, am äußeren Rand der alawitischen Viertel.
Wir brechen auf, immer noch zu siebt im Auto. Starke Beschleunigung an bestimmten Kreuzungen. Dann biegen wir plötzlich in eine Straße ab. Steigen aus. Vor uns fallen Schüsse. Zögern, Raed rennt los. Ich gehe, immer an der Mauer der großen Straße entlang, auf der die Schüsse zu hören sind, bis zum FSA-Checkpoint in 30 Meter Entfernung. Dann ziehen mich Abu Jafar und Omar mit, und wir laufen durch die Straßen. Es gibt einen verwundeten Zivilisten, wird uns gesagt. Wir kommen an einer kleinen Untergrund-Klinik an. Der Mann liegt in seinem Blut auf dem Operationstisch, während man ihm Erste Hilfe leistet. Er hat eine Kugel durch die Schädelbasis abbekommen. Er japst noch, spuckt Blut. Man setzt ihn auf, damit er das Blut ausspucken kann, während Omar für die Kamera von Abu Bilal eine Rede schreit. Der Junge, der sehr jung aussieht, ist nur halb bei Bewusstsein und rollt mit den Augen, das Gesicht voller Blut. Er zuckt und spuckt ununterbrochen Blut. Aber die Eintrittsbahn der Kugel ist unterhalb des Gehirns, hat er vielleicht eine Chance? Man bringt ihn auf einer Trage raus und setzt ihn in ein Taxi, das hupend losfährt, während Schüsse prasseln. Es ist immer derselbe Schütze. Der Arzt sagt, er könnte überleben, inschaallah .
Der Zeuge trifft ein, ein Mann in Tarnjacke. Es ist ein FSA-Soldat, der am Checkpoint war, in der Nähe der Saaid-Ibn-Amir-Moschee. Der junge Mann ist mit einer Tüte voller Medikamente in der Hand gekommen, für seine Eltern, einer durchsichtigen Tüte, die man uns zeigt. Darin ist sein Ausweis. Er heißt Omar A. und wurde 1985 geboren. Er ging über die Straße zur FSA-Straßensperre, und die Sicherheitskräfte haben auf ihn geschossen.
Ein weiterer Notfall kommt an, nein, zwei, ein älterer Mann und eine dicke Frau. Chaos. Die Frau hat eine Kugel in den Kiefer bekommen und schaut mich mit hervortretenden Augen an, voller Entsetzen. Man setzt sie hin, um sie zu verbinden. Die Wunde ist tief, scheint aber nicht tödlich zu sein. Der Mann ist an der linken Schulter verwundet. Er keucht, während man ihn notversorgt, rollt mit den Augen, klammert sich an Raeds Hand. Als die Frau verbunden ist, legt man sie auf eine Trage, um sie wegzubringen. Sie haben keinerlei Material zum Operieren hier.
Der Mann ist immer noch bei Bewusstsein, er keucht, aber er klagt nicht, er leidet. »Das ist nichts«, sagt der Arzt. »Es war einer hier, der war nur noch Hackfleisch. Unten war gar nichts mehr übrig.« Neben dem Verwundeten wate ich in Blut.
Abu Bilal
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