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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Gegenrichtung, einige mit RPGs. Die Schüsse gehen weiter, sie prallen über uns gegen die Mauern, es sind die Soldaten der Zitadelle, die um sich schießen, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Das dauert über eine Stunde; zum Knattern der Kalaschnikows gesellt sich bald das lautere Hämmern der Maschinengewehre. Etwas später wird uns Abu Lail sagen, dass die FSA eine Straßensperre, die auf Zivilisten geschossen hatte, angegriffen und zwei Soldaten getötet hat.
     
    Als wir nach Hause kommen, fühle ich mich vollkommen leer, platt, ich habe keinen Funken Energie mehr. Ich pinkele, wasche mir die Hände und das Gesicht und putze mir die Zähne mit einer Zahnbürste und Zahnpasta, die ich auf der Straße gekauft habe. Ich hatte heute Morgen keine Zeit dazu.
     
    Danach bekommen wir ziemlich schnell etwas zu essen, ein Omelette, labneh und Halva. Es ist köstlich und päppelt wieder auf. Die Aktivisten arbeiten schon, ich setze mich auch ran. Sobald wir zu Hause waren, haben sie sich auf ihre Computer gestürzt und angefangen zu arbeiten, insgesamt vier Kerle, die einander gegenüber an einem Tisch sitzen. In weniger als einer Stunde sind die Videos überspielt, bearbeitet und auf YouTube gestellt. Auf Facebook wuchern die Links, auf allen revolutionären Seiten. Etwas später gibt Abu Bilal per Telefon ein Liveinterview auf Orient TV.
     
    Abu Lail hat ein großes, in Plastik eingeschweißtes Google-Earth-Foto von dem Gebiet mitgebracht, das von der Zitadelle bis zur Sittin-Straße (der 60. Straße) reicht. Die Scharfschützen, die auf die Saaid-Ibn-Amir-Moschee geschossen haben, sind in Wadi al-Dhahab, einem alawitischen Viertel. Nördlich der Zone, da, wo die schabbiha -Posten stehen, die Straße für Straße entlangschießen, ist Zahra. Heute Morgen sind wir durch diese Straßen gefahren, am Schwimmbad al-Dschala entlang, hinter dem großen Friedhof von Bab Drib. Der Junge wurde auf dem kleinen Friedhof beerdigt, auf der anderen Seite der großen Straße.
     
    Informationen prasseln auf uns ein. Nach unserem Aufbruch aus Karm az-Zaitun hat die Armee Granaten auf vier Häuser abgefeuert, bis jetzt gibt es drei Tote und um die fünfzig Verletzte. Dann sind die mukhabarat und die schabbiha ins Viertel eingedrungen und haben Leute verhaftet. Sie greifen an, indem sie wild um sich schießen, dann rücken sie mit BTR vor, die FSA hat dem nichts entgegenzusetzen. Laut Omar, der mit jemandem vor Ort telefoniert hat, sind sie in ein Haus gegangen und haben eine ganze Familie erschossen, zwölf Menschen. Seit drei Tagen bedrohen die schabbiha die Leute aus dem Viertel, weil sie Posten in den Häusern aufstellen wollen. Sie haben Flugblätter verteilt, auf denen die Menschen aufgefordert werden, wegzugehen. Der Angriff und das Massaker von heute stehen damit in Zusammenhang.
     
    Laut Fernsehen ist Qusair bombardiert worden. Es könnte schwierig werden, wieder rauszukommen.
     
    19 Uhr. FSA-Gruppen verlassen das Viertel, um Karm az-Zaitun zu verstärken. Ein Aktivist von dort hat das Massaker schon auf YouTube gestellt: vier kleine Kinder in ihrem Blut auf einem Bett, eines davon offensichtlich ein Säugling, ein fünftes am Boden, mit zerschossenem Auge, es ist noch nicht zehn, eine junge und noch verschleierte Frau, vielleicht die Mutter, weitere Leichen. Alle schauen es sich an, wir spielen es immer wieder ab.
     
    Abu Lail kommt rein und schlägt vor, dass wir nach Karm az-Zaitun zurückfahren, die Leichen anschauen. Ich bin nervlich zu erschöpft, um mich von meinem Stuhl zu erheben, geschweige denn nochmal vor die Tür zu gehen, aber Raed reißt sich zusammen, steht auf und sagt: » Jallah. « Keiner der Aktivisten will mitgehen, und Abu Lail schreit sie an: »Der Ausländer geht und ihr geht nicht? Schämt ihr euch nicht?« Schließlich willigt einer von ihnen ein und sie brechen auf.
     
    20 Uhr. Die Moscheen stimmen den takbir an. Ich weiß nicht, was das heißt. Man hört die im Chor gerufenen »Allahu akbar!«, unterbrochen von Schüssen.
     
    Die FSA antwortet nicht auf die Schüsse von der Zitadelle. Es bringt nichts und verschwendet Munition.
     
    Nach letzten Informationen wurde den Kindern aus dem Haus die Kehle durchgeschnitten, und es wurde ihnen Ali auf die Brust geschrieben. Wenn das stimmt, ist das ein eindeutiger Versuch, einen Glaubenskrieg anzuzetteln. Muss verifiziert werden.
     
    21 Uhr. Die Schüsse gehen wieder los. Abu Bilal gibt ein Interview über Skype.
     
    21.15 Uhr. Rückkehr von Raed.

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