Notizen aus Homs (German Edition)
Aktivisten die Reste der RPG, die gerade explodiert ist. Der Kopf riecht noch nach Kordit. Als Raed nach Hause kommt, erklärt er mir, dass sie gegen eine Mauer der Altstadt geknallt ist, ohne Schaden anzurichten, außer an einem Suzuki-Kleintransporter, bei dem sämtliche Scheiben gesprungen sind. Genau neben dem Einschussloch befindet sich ein Tor, das mit Sandsäcken verbarrikadiert ist: Die Soldaten dachten vielleicht, es handele sich um eine Stellung der FSA.
Danach Arbeit an den Computern. Ich installiere Google Earth, und man zeigt mir, wo wir heute waren. Die »Todesstraße« zwischen den Vierteln Safsafi und Bab Sbaa führt tatsächlich genau auf die Zitadelle zu.
Keine einzige Frau in diesem Haus. Am Nachmittag, als wir bei Omars Schwiegerfamilie gegessen haben, blieben die Frauen in der Küche versteckt. Ich habe seine Verlobte kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Die einzigen Frauen, mit denen wir heute gesprochen haben, sind die beiden Schwestern im Krankenhaus und die zornige Hausfrau auf der Straße mit dem Niqab. Es fehlt wirklich nicht viel zu einer afghanischen purdah 49 .
Etwas nach Mitternacht Abendessen im großen Zimmer, mit circa zwanzig Männern der FSA. Ein wahres Festmahl, es gibt alles: Omelette, kalten Bohnensalat, Käse, labneh , mutabbal , kleine warme sfihas und zum Dessert Halva. Einer der Männer nennt sich Abu Maut, Vater des Todes. Seine drei Brüder sind tot, und seine Mutter hat ein Gelübde abgelegt, jeden Tag für die Männer der FSA zu kochen, bis zum Ende der Revolution. Die Männer bringen ihr die Zutaten, und sie bereitet alles zu.
Wir schlafen im Hinterzimmer, dem Hauptquartier der Aktivisten, um den Ofen herum, mit Abu Bilal.
Donnerstag, 26. Januar
Safsafi – Bab Drib – Karm az-Zaitun –
Bab Tadmor – Safsafi
Schwierige Nacht. Schlaflosigkeit, dann extravagante Träume, das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Omar Telawi hat bis fast 4 Uhr an seinem Computer gearbeitet, nur im Licht seines Monitors. Am frühen Morgen wache ich wieder auf. Kaltes Licht, Stimmen. Schüsse, keine Kalaschnikowsalven, sondern einzelne Schüsse, Scharfschützenschüsse. Ich frage mich, ob sie jemanden getroffen haben. Gegen 9.30 Uhr werde ich erneut wach, von Abu Bilals Handy, ich rüttele ihn wach. Jemand aus seiner Umgebung ist getötet worden, er weiß nicht, wer. Von einem der Schüsse, die ich gehört habe? Ein weiterer Anruf: Es ist einer seiner Nachbarn, ein zwölfjähriges Kind aus Bab Drib. Sie schießen auch auf Kinder. Für nichts und wieder nichts. Außer um dieses widerspenstige, verfluchte Volk zu strafen, das schuldig ist, sich nicht beugen, seinem Herrn und Meister nicht widerspruchslos gehorchen zu wollen. Um es auf kleiner Flamme zu strafen.
Wir falten unsere Decken zusammen und brechen auf, um uns den Leichnam des Jungen anzusehen.
Aber vorher, auf der Suche nach einem Auto, Spaziergang durchs Viertel. Alles ist neblig, feucht. Man zeigt mir das Einschussloch der RPG von gestern, in einem alten Hoftor. Dann gehen wir über eine große Straße. Die Zitadelle ist 100 oder 200 Meter entfernt, man sieht sehr deutlich die Stellungen der Schützen im Nebel. Mir ist nicht ganz wohl dabei, aber wir haben, wie es scheint, keine Wahl. Oder doch, Abu Bilal hat uns nur dorthin geführt, um uns das zu zeigen, wir müssen also wieder zurück. Er muss sehr über unseren Unmut lachen.
Endlich finden wir das Auto und quetschen uns zu sechst hinein, mit Omar und Abu Adnan, der mit unseren Sachen gekommen ist. An einem FSA-Checkpoint nehmen wir noch einen Typen mit einer Kalaschnikow mit, Abu Dschafar: Bab Drib ist nicht sehr sicher, die alawitischen Viertel und die schabbiha sind nicht weit. Wir kreuzen durch die Gassen, dann brettern wir über zwei schawari al-maut und murmeln dabei » Bismillahi ar-rahman ar-rahim «. An der Einfahrt nach Bab Drib ein FSA-Checkpoint. Nicht weit entfernt ist eine Schule, in der der Scharfschütze postiert ist, der den Kleinen getötet hat. Wir finden die Straße, aber das Kind ist bereits in der Moschee. Wir gehen zu Fuß hin. Überall sind FSA-Soldaten. Der Leichnam ist im Gebetssaal im Untergeschoss, in einem Holzkatafalk, eingehüllt in ein Leichentuch, mit Plastikblumen um den Kopf, umringt von Kindern und älteren Leuten. Drei Kinder weinen diskret an einem Pfeiler. Man deckt den Leichnam auf, um uns die Wunde zu zeigen, in Bauchhöhe. Die Haut ist bereits gelb, die Augen leicht geöffnet,
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