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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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die Nasenlöcher hat man ihm mit Watte ausgestopft. Er hat einen ersten zarten Schnurrbartflaum. Gefilmt von Abu Bilal hält Omar eine kurze zornige Ansprache vor dem Leichnam.
    Das Kind hieß Mohammad N. und war 13 Jahre alt, nicht 12. Der Vater spricht mit uns. Der Junge hat vor dem Haus Holz für die sobia gehackt, gestern Abend gegen 23 Uhr. Er hatte eine kleine Lampe, und der Scharfschütze hat ihn erschossen. Ich frage, ob wir den Namen veröffentlichen dürfen: »Wir haben das verloren, was uns am teuersten war, uns ist es egal.« 50 Das Kind war nicht sofort tot, sie haben versucht, es in die Klinik zu bringen, es ist an der Blutung gestorben.
    Der Vater, würdevoll, umringt von Freunden, lässt sich nichts anmerken. Nur die Augen, feucht und geschwollen.
    Auf ihr Haus wird dauernd geschossen. Von Kugeln durchlöchert. Der Scharfschütze hat auch einen geistig Behinderten getötet, ein weiteres fünfzehnjähriges Kind, vor zehn Tagen.
    Auf dem Handy einer der Personen, die uns umringen, Video von der Waschung des Leichnams eines erwachsenen Mannes, getötet mit Kopfschuss von einem anderen Scharfschützen. Es ist der Bruder desjenigen, der mir den Film zeigt. Sein elfjähriger Sohn hat auf dem Fahrrad eine Kugel in die Schulter bekommen, er ist zu ihm gerannt, um ihn zu retten, und der Scharfschütze hat ihn erschossen. Zweifellos ein schabbih , der Schuss kam aus dem alawitischen Viertel Nezha, von einer Straßensperre.
    Menschenauflauf um uns herum. Die Geschichten sprudeln. Ein junger Mann zeigt uns eine große Narbe auf seinem Rücken. Er hatte »Allahu akbar!« gerufen, als er über eine Straße ging, und eine Kugel abbekommen.
    Ein anderer Mann: »Wir wagen es nicht mal mehr, den Müll rauszubringen. Nach 16 Uhr kann man keinen Fuß mehr vor die Tür setzen.« Er lebt in derselben Straße wie der erschossene Junge. Diese Straße ist dermaßen gefährlich, dass der Mann, dessen Bruder getötet wurde, Löcher in die Mauern zwischen seinem Haus und dem seines Bruders sowie dem seines Nachbarn geschlagen hat, damit er dorthin kommt, ohne auf die Straße zu müssen.
    Ein anderer junger Mann aus der Straße erzählt mir, dass sein Vater getötet wurde. Das ist woanders passiert, von der Zitadelle aus, er brachte Einkäufe nach Hause. Die Tür zur Wohnung dieser Familie ist in der Schusslinie des Scharfschützen von der Schule, sie mussten ebenfalls hinten eine Öffnung schaffen, um die Wohnung verlassen zu können.
    Dieser Scharfschütze macht sich auch einen Spaß daraus, Katzen zu töten. Er hat schon acht erschossen. In der Schule sind ungefähr 90 Soldaten, Sandsäcke in den Fenstern, und das Gebäude ist aus Beton. Der Scharfschütze ist in Sicherheit.
    Ein anderer Junge zeigt uns seine Hand, zwei Finger von einer Bombe abgerissen, und seinen Bauch, übersät mit kleinen schwarzen Punkten, Narben von einer dieser berühmten nail bombs . Er ist 13 Jahre alt.
    Noch ein Junge, ebenfalls 13, mit Narben von einer nail bomb an den Beinen.
    Ein Mann zieht sich aus, zeigt uns seinen von Narben bedeckten Oberkörper. Er war mit seinem Sohn Brot und Milch holen. Auf der Höhe der Straßensperre hat er ein Zeichen gemacht: »Wartet, ich gehe rüber«, und sie haben ihm drei Kugeln in den Körper geschossen. Er hat sich auf den Kleinen gestürzt und hat ihn zu Boden geworfen, ihn mit seinem Körper bedeckt und immer noch Zeichen gemacht: »Wartet, wartet.« Schließlich haben ihn ein paar Leute mit einem Stock von der Straße gezogen.
     
    Der Bruder des toten Jungen verabschiedet sich von ihm, küsst ihn weinend und streichelt ihn sanft. Er streichelt ihm mit unendlicher Zärtlichkeit das Gesicht. Dann ist der Vater an der Reihe, am Kopf des Katafalks, während der Bruder an der Schulter eines Angehörigen weint. Daneben murmelt ein Mann inbrünstig » Allahu akbar. Allahu akbar. Alhamdulillah «.
    Viele Kinder um den Sarg, junge Leute mit roten Augen. Die Fenster des Gebetssaals sind mit Hohlbetonblöcken verschlossen, zum Schutz der Gläubigen vor den Schüssen.
     
    Mittagsgebet. Ein Junge verscheucht die Kinder, die um den Katafalk herumstehen: »Geht beten.« Danach wird man den Leichnam vor die qibla- Wand legen, dann das Totengebet sprechen. Anschließend wird er auf den Friedhof gebracht und sofort beerdigt. Ein Dutzend FSA-Soldaten werden uns begleiten, um uns zu beschützen.
    Als es so weit ist, versammelt sich eine Menge aus Jugendlichen und Kindern um den Katafalk und hebt ihn unter » La ilaha ilallah!

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