Notluegen
bemächtigt, was früher immerhin ab und zu einigermaßen hell gewesen war, doch war sie mit einem solchen Bild nicht ganz zufrieden, richtiger wäre es wohl zu sagen, dass ihr gemeinsames Leben unter Papieren und Dokumenten begraben worden war.
Aber an das Gespräch im Schloss wollte die Frau lieber gar nicht denken. Ihr Zusammenleben als Eheleute war ja immerhin eine Tatsache, man konnte es nicht anders ausdrücken, aber eben verändert, und manchmal stellte die Frau es sich vor, wie wenn ein Zimmer plötzlich umgeräumt wird und Bett, Stühle und Schrank miteinander den Platz tauschen, so dass nur das Zimmer selbst mit seinen Wänden bleibt, wie es gewesen ist; und in diesem Zimmer, um dessen Umräumung sie nicht gebeten hatte, fühlte sie sich unsicher und nicht mehr zu Hause.
Dies muss der Anlass dafür gewesen sein, dass sich die Frau entschloss, mit ihrem ehemaligen Mann zu sprechen. Diesen Entschluss fasste sie fast auf den Tag genau zwei Monate nach dem Gespräch in der Sicherheitsabteilung des Schlosses, aber zuvor rief die Frau ihre Mutter an, um sie nach ein paar Rezepten zu fragen.
Seit wann interessierst du dich fürs Kochen?
Das war die süßsaure Stimme ihrer Mutter am Telefon. Abends war sie noch boshafter als morgens.
Die Erklärung, welche die Tochter ihrer Mutter in einigen wenigen, widersprüchlichen und teilweise unvollständigen Sätzen gab, überzeugte sie beide nicht, zumal diese Erklärung überhaupt nichts mit den wirklichen Gründen der Tochter, sich fürs Kochen zu interessieren, zu tun hatte.
Du hast einen neuen Kerl, sagte die Mutter vorwurfsvoll am Telefon.
Die Tochter stritt das ab.
Also ein neuer Kerl. Hast du nicht mehr als genug davon gehabt?
Letzteres wollte die Tochter nicht leugnen, zog es aber vor, auf die Rezepte zurückzukommen, auf Messerspitzen, Prisen, auf Dinge, die aufgebrüht und eingerührt werden, so dass ihre Mutter, diese betagte Frau, ihre inquisitorische Energie ersatzweise auf das richten musste, was sich in einem Herd oder in einem Topf abspielt, etwas, das sie schon längst nicht mehr interessierte.
Ich möchte ein paar Arbeitskollegen zum Essen einladen, sagte die Tochter.
Daraufhin hatte die Mutter, mechanisch und gelangweilt wie jemand, der selbst nichts mehr isst, verschiedene Zutaten aufgezählt, einige ausgelassen, andere aus einem ganz anderen Rezept hinzugefügt, gehackt, wo es gereicht hätte, in Scheiben zu schneiden, manches zu ihrem eigenen Erstaunen mit dem verwechselt, was sie von ihrer eigenen Großmutter gelernt hatte, und dann zu ihrer Tochter gesagt, liebes Kind, du machst es natürlich so, wie es dir selber gefällt.
Und dann, nach einer kurzen Pause, wiederholt: Du hast also einen neuen Kerl.
Vor die Wahl gestellt zwischen einem neuen Kerl, den es nicht gab, und dem von früher, von dem sie nichts mehr wissen wollte, hätte die Tochter sich nicht entscheiden wollen. Am liebsten hätte sie diese Kerle aus ihrem Gespräch herausgehalten, aber der untrügliche Instinkt der Mutter wollte es anders.
Ach so, dieser Taugenichts, sagte sie trocken. Hast du nicht genug von ihm?
Die Tochter schwieg.
Hallo, ich höre dich so schlecht! Hörst du mich?
Dieser Taugenichts also, hatte die Mutter wiederholt, bevor sie auflegte.
Kurz darauf rief die Frau ihren ehemaligen Mann an und lud ihn für nächsten Samstag zum Essen ein. Ihre gemeinsame Tochter war mit der Schule in Skiferien. Die Eltern hatten sich seit fünf Jahren nicht gesehen, eigentlich seit sechs, aber die Frau hatte abgesehen von den letzten zwei Monaten so selten an ihren ehemaligen Mann gedacht, dass auch die Zeit, in der er präsent gewesen war, nur in unbestimmten, sehr vagen Umrissen vorhanden war.
Der Mann kam mit einem Blumenstrauß, mit diesen billigen roten Nelken, welche die Frau gern endgültig mit den alten Zeiten hätte verschwinden sehen, als weiße oder rote Nelken fast die einzigen Blumen waren, die es zu kaufen gab.
Der Mann war dünner als früher, nicht nennenswert gealtert, aber er sah angegriffen aus. Er roch nach Schnaps. Während ihrer Ehe hatte er keine Leidenschaft fürs Trinken oder Spielen bekundet, bald auch nicht mehr für seine Frau, aber es waren jetzt andere Zeiten, und die Menschen hatten sich mit ihnen verändert; was früher gegolten hatte, galt jetzt nicht mehr, verdrängt von dem, was früher undenkbar oder unmöglich gewesen war, und die Frau schenkte ihrem Gast und ehemaligen Mann ein Glas Wein ein, das er in einem Zug austrank.
Du
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