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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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hätte, verminderte sofort die Bedeutung ihres früheren Mannes: zu jener Zeit nur einer von unzähligen Berichterstattern, hatte der Mann gesagt, einer in der grauen Menge .
    Doch nicht einmal eine Farbe wie Grau, verbunden mit einem solchen Überfluss an Spitzeln, hatte dazu beitragen können, ihren Schock zu mildern.
    In den Berichten Ihres Mannes steht nichts, worum Sie sich Sorgen machen müssten, sagte der Unbekannte. Ich habe sie persönlich gelesen. Ich fand, das sei ich Ihnen schuldig.
    Wir sind tatsächlich geschieden, sagte die Frau.
    Das ist uns bekannt, sagte der Mann.
    Dann wollte er den Ursprung des Decknamens erklären, überflüssigerweise, die Frau wusste ja bereits Bescheid. Kurz nachdem die Republik neunzehnhundertachtunddreißig in München verraten worden war, hatte ihr ehemaliger Schwiegervater als junger Mann das Land verlassen, in England Asyl gefunden, war während des Krieges zunächst interniert gewesen, um dann als Pilot der königlich englischen Luftwaffe (R.A.F.) ungefähr dreißig Bombenangriffe gegen den Feind auf dem Kontinent zu fliegen, wobei er daran beteiligt war, eine Reihe von deutschen Städten in Brand zu stecken und auszulöschen, etliche von großem kulturellen und historischen Wert.
    Auf seine Zeit als Bomberpilot und diese Zerstörung von Deutschland war der Schwiegervater für den Rest seines Lebens sehr stolz. Dieser Schwiegervater, den die Frau nie kennengelernt hatte, war nach Kriegsende wieder nach Hause zurückgekehrt, nach dem Prager Putsch im Februar neunzehnhundertachtundvierzig bald von den Kommunisten verfolgt worden und in den fünfziger Jahren bei den großen Schauprozessen fast als Spion für die Engländer oder Amerikaner angeklagt worden, um dann plötzlich in Ruhe gelassen und vorzeitig pensioniert zu werden, und in seiner Wohnung im Stadtteil Holešovice zwei Jahre vor der Invasion von neunzehnhundertachtundsechzig gestorben. Nichts davon war der Frau neu.
    Stattdessen fragte sie, ob ihr ehemaliger Mann für seine Dienste bezahlt worden sei.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch bejahte das.
    Der »Pilot« – letec – hatte Geld bekommen. Aber wiederum sprach der Unbekannte von dem geringen Wert solcher Berichte, davon, was für ein kleines Rädchen in der Maschinerie ihr ehemaliger Mann gewesen sei, etwas, was am deutlichsten daraus hervorging, dass man sein Dossier nicht zerstört hatte, als die kommunistische Sicherheitspolizei während der letzten Wochen oder vielleicht Tage damit beschäftigt war, in größter Eile ihre kompromittierendsten Akten zu vernichten.
    Aber das Dossier Ihres Mannes gehörte nicht dazu, sagte der Unbekannte freundlich.
    Die Frau dachte jedoch weniger an die Akten als vielmehr an die Waschmaschine, den Farbfernseher und vor allem das Auto, einen Škoda, den sie im Herbst 1984 – oder ein Jahr später? – für Geld gekauft hatten, das der Lohn für die Berichte sein musste, die zu verbrennen oder auf andere Weise zu zerstören später keine Zeit mehr gewesen war.
    Die Frau war auf dem Stuhl zusammengesunken, und der Beamte, verantwortlich für die Sicherheit des Präsidenten und des Schlosses, diskret und leise auf eine Art, welche die Frau unwillkürlich als vorteilhaft empfunden hatte, verließ sich offenbar in einer Situation wie dieser nicht ausschließlich auf Paragrafen und Vorschriften, sondern bot ihr ein Glas Wodka an.
    Dankbar nahm sie das Glas entgegen.
    Also gut, sagte er.
    Und dann: Versuchen Sie, es nicht so persönlich zu nehmen.
    Dieses Letztere hatte der Beamte nach einer kurzen Pause gesagt, in welcher die Frau versucht hatte, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen die Tatsachen, die er ihr enthüllt hatte, für sie haben könnte. Sie brauchte schließlich einen Job.
    Ja, flüsterte sie. Ich will es versuchen.
    Das Glas mit dem Wodka hatte sie fast in einem Zug geleert, obwohl ihr bewusst war, dass das keinen guten Eindruck machte.
    Offiziell bin ich nicht dazu berechtigt, sagte der Mann. Aber ich könnte Ihnen das eine oder andere Papier zeigen. Ich meine, falls Sie an dem zweifeln, was ich gesagt habe.
    Das ist nicht nötig, sagte sie.
    Während ihres Gesprächs war der Mann zum Fenster gegangen. Unterhalb des Schlosses breitete sich die Stadt aus, überwiegend grau oder schmutzbraun, aber hier und da glänzten jetzt Türme und Kuppeln in der Nachmittagssonne, als wären sie unter einer dicken Schicht von Ruß hervorgekratzt worden; Touristenbroschüren und Leute, die hier nur zu Besuch gewesen sind,

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