Notluegen
hast es hier wirklich schön, sagt der Mann, während er sich umsieht. Ja. Wirklich schön.
Mit dem leeren Glas in der Hand geht er in der Wohnung herum, in der seine ehemalige Frau und die Tochter zusammen ein Leben führen, von dem er nichts mehr weiß. Warum er heute Abend eingeladen wurde, weiß er auch nicht. Argwöhnisch sieht er sich um. Aus dem, was er sieht, kann er kaum etwas anderes schließen, als dass es keine Spuren von einem anderen Mann zu entdecken gibt. Dies hätte den Mann mit einer gewissen Genugtuung erfüllen können, wenn es ihn überhaupt interessiert hätte.
Ein Sessel, mittlerweile mit einem gestreiften Stoff in hellen Farben bezogen, ist ihm von früher bekannt, eine Erinnerung daran, wie großzügig er bei der Scheidung zugelassen hat, dass die Frau das auswählte und mit Beschlag belegte, was sie haben wollte, noch immer tief gekränkt, wie er damals war, und voller Verachtung für ihren überkandidelten Sammlertick, den sie gepflegt hatte, solange er sie kannte; in den unmöglichsten Gegenständen hatte sie Nutzen oder Wert gesehen und sich damit umgeben, und dieser neu bezogene Sessel schien genau dies zu bestätigen, während er zugleich doch auf seiner Seite als Verlust verbucht werden musste.
So schlecht hatten wir es eigentlich nicht miteinander, sagt der Mann, als sie sich zu Tisch gesetzt haben und die Frau ihm auf den Teller legt, was sie mit Hilfe der ehemaligen Schwiegermutter des Mannes zubereitet hatte.
Darüber müssen sie beide lachen.
Mein Lieblingsgericht, sagt der Mann. Du erinnerst dich immer noch daran!
Die Frau erinnert sich nicht daran.
Trotz der Anweisungen der Mutter am Telefon ist der Braten angebrannt, und aus diesem Angebrannten vor sich auf dem Teller schließt der Mann, dass seine Schwiegermutter noch am Leben ist und dass ihre Tochter, also seine ehemalige Frau, ihr gemeinsames Kind vermutlich mit Tiefkühlkost und Aufschnitt ernährt, genau wie auch er während ihrer Ehe Tiefkühlkost und Aufschnitt bekam.
Anfangs sprechen sie über dieses Kind, das heißt, über seine Zeugnisse, die bevorstehende Konfirmation, über seine Zahnregulierung und die eine oder andere Rechnung, die nicht bezahlt worden ist, aber freundlich und nicht sehr lange. Nur darüber, wieviel Zeit das Kind in der Kirche verbringt, spricht die Frau nicht. Stattdessen einigen sie sich darauf, dass ihr gemeinsames Kind überdurchschnittlich begabt und mit einer durch und durch guten Natur gesegnet ist, wenn auch mit einem Hang zum Grübeln, dass sie aber als Eltern keinen triftigen Grund haben, sich um die Zukunft eines solchen Kindes zu sorgen, obwohl der Mann eigentlich vor den Gefahren warnen will, vor allem in Verbindung mit Drogen und Rassismus, denen heutzutage offenbar jedes moderne Großstadtkind ausgesetzt ist.
So etwas gab es ja zu unserer Zeit nicht, sagt er zu der Frau, die einmal seine Ehefrau war.
Dann sagt der Mann, er hätte den Eindruck gewonnen, seine Tochter halte sich anscheinend öfter in der Kirche auf als zu Hause, aber da die Frau dies als persönliche Kritik auffasst, streitet sie es gegen besseres Wissen ab.
Der Mann ist nervös. Er kann nicht verstehen, warum er hier allein mit dieser Frau sitzt, die er jahrelang nicht gesehen hat. An keiner Stelle lässt sie durchblicken, dass ihr gemeinsames Kind der Grund für diese Einladung wäre, die noch beim Nachtisch – vom Mann sofort als der in weiten Kreisen berühmte Apfelstrudel der Schwiegermutter erkannt – keine Erklärung gefunden hat.
Er leert mehrere Gläser Wein, während die Frau lächelt oder verlegen aufs Tischtuch hinuntersieht.
Warum er hier mit seiner ehemaligen Frau sitzt, erscheint ihm immer unverständlicher, fast wie eine Provokation. Der Mann ist auf der Hut. Sein Leben ist nach der Scheidung nicht immer leicht gewesen, und er wartet auf eine Gelegenheit, dies zu sagen. Wie sollte sie sich auch sonst vorstellen können, wie schwer er es gehabt hat? Nur der Mann selbst weiß das. Aber die Frau erweckt nicht den Anschein, als ob sie sich dafür interessierte, was er aus seinem Leben gemacht hat, und aus reinem Trotz leert der Mann ein Glas nach dem andern, sobald die Frau nachschenkt, immer ärgerlicher über dieses mangelnde Interesse dafür, was er alles hat erdulden müssen.
Wie die Zeit vergeht, sagt die Frau.
Dem stimmt der Mann zu, aber ohne Überzeugung, immer noch empört über ihr geringes Interesse an seinem Leben.
Aber es gehört sich eigentlich nicht für dich, das zu
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