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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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Handy lädt er nur tagsüber auf. Sein Fernseher oder die Musikanlage läuft niemals auf Stand-by. Und im Hotel zählt er mit geschlossenen Augen die Zahl der Schritte von seiner Zimmertür bis zum nächsten Notausgang, bevor er sich schlafen legt. Klingt ein bisschen verrückt, meinen Sie? Möglich. Doch ich kann ihn verstehen. Der Mann hat eben zu viel gesehen in seinen langen Berufsjahren. Wahrscheinlich wird man so, wenn man ständig in Brandruinen und den verkohlten Lebenserinnerungen der anderen herumwühlt. Allzu oft fand er die Ursache in defekten elektrischen Geräten, beschädigten Kabeln oder heillos überlasteten Mehrfachsteckdosen. Das hat eben Spuren hinterlassen und sein Bewusstsein im Umgang mit elektrischen Geräten – sagen wir mal – geschärft.
    Es sind weniger die Flammen, die den Menschen gefährlich werden. Fast immer ist es der Rauch – dieser schleichende Tod, der in Minutenschnelle ein Haus, eine Wohnung, ein Zimmer zur tödlichen Falle werden lässt. Selbst in ihrer vertrauten Wohnung – sogar in kleinen Einzimmerapartments – finden Menschen plötzlich den Ausgang nicht mehr. Laien wollen uns das meist nicht glauben, aber wir erleben das leider immer wieder. Ein nächtlicher Brand birgt noch eine weitere große Gefahr. Im Schlaf lassen die Sinnesorgane den Menschen nämlich im Stich. Der Rauch und das tödliche Gas Kohlenstoffmonoxid werden nicht oder erst viel zu spät wahrgenommen. Wie dieser dramatische Fall dokumentiert, der in einer Sommernacht ein tödliches Drama und eine darauf folgende, tagelange Diskussion über die grundsätzliche Sicherheit elektrischer Geräte auslöste.
    Kurz vor Mitternacht schlugen plötzlich Flammen aus mehreren Fenstern der Villa des pensionierten Handwerkers Alfred Humele (83) und seiner Frau Käthe (80). Die beiden hatten den Familienbetrieb nach einem langen Arbeitsleben längst ihren Kindern übergeben. Seitdem verlebte das Ehepaar in der ruhigen Siedlung im Münchner Osten einen beschaulichen Lebensabend. An jenem Dienstagabend hatten die beiden ferngesehen. Irgendwann schalteten sie das Gerät wie gewohnt mit der Fernbedienung aus und gingen hinauf in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Zu diesem Zeitpunkt leuchtete an dem Fernsehgerät nur noch der rote Stand-by-Punkt.
    Die Brandermittler würden später feststellen, dass das nur ein Millimeter dünne Kabel zur Stand-by-Schaltung eine noch dünnere Schwachstelle hatte, in deren Folge der Draht heiß wurde und schließlich brach. Dabei entstanden Funken, die zunächst die Kabelisolierung und dann das Gerät in Flammen setzten. Rauchmelder hätten spätestens in diesem Brandstadium mit einem schrillen Pfeifton Alarm geschlagen. Dann hätten die ahnungslos schlafenden Humeles noch alle Chancen gehabt, unversehrt aus dem Haus zu kommen und den Notruf 112 zu wählen. Vielleicht hätten wir ihnen sogar noch das Haus retten und die ganze Familie vor großen Sorgen und viel Leid bewahren können. Doch die Humeles hatten leider keinen Rauchmelder. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf …
    Der Brand griff bald auf die Wohnzimmereinrichtung und schließlich auf das ganze Erdgeschoss und die Treppe über. Die Scheiben barsten, Flammen schlugen hoch. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt müssen die Humeles etwa zeitgleich mit den Nachbarn in den Häusern ringsherum erwacht sein. Mehrere Notrufe gingen nämlich zeitgleich in der Leitstelle ein. Doch für die Humeles war es da schon zu spät.
    Im Schlaf hatten beide bereits so viel giftiges Kohlenmonoxid eingeatmet, dass sie nicht mehr die Kraft hatten, ins Freie zu fliehen. Wir fanden Käthe Humele tot vor dem Bett. Ihr Mann Alfred hatte es sogar noch bis zur Balkontür geschafft, wo er auf der Schwelle nach draußen zusammengebrochen und qualvoll erstickt war.
    Ich finde keine Erklärung dafür, dass die Installation von Rauchmeldern, die doch nur noch ein paar Euro kosten und nachweislich schon so vielen Menschen das Leben gerettet haben, erst seit Beginn des Jahres 2013 in Neubauten Pflicht geworden ist. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist für mich, warum die Übergangsfrist zur Nachrüstung von Rauchmeldern in bereits bestehenden Wohnungen bis zum 31. Dezember 2017 dauert. In den Zimmern meiner Kinder hängen sie jedenfalls seit dem Tag ihrer Geburt und natürlich auch im Wohnzimmer, im Flur und im Technikschrank, in dem die ganze Telefon- und Netzwerktechnik Tag und Nacht vor sich hinflimmert. Und ja, ich muss es zugeben: Ich bin auch so ein Fluchtweg-Checker im

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