Notruf 112
eingesetzt wird. Die Säure im Zünder kann damit eingefroren werden und kann auch nirgends mehr hinlaufen. Dadurch kann die Bombe nicht mehr zünden. Dann lässt man von einem Hubschrauber ein ein Kilometer langes Stahlseil ab. Die Bombe wird mit einem Hebefrosch für Rohre am Seil befestigt. Dann kann man sie zur unbewohnten Fröttmaninger Heide fliegen und abwerfen, wo sie dann explodieren kann.«
Der Saal bog sich vor Lachen.
Und Schäuble kommentierte trocken: »Die Begeisterungsstürme der an der extrem empfindlichen Bombe herummanipulierenden Einsatzkräfte, der Hubschrauberbesatzung und der Menschen in den überflogenen Stadtvierteln sind unserem Problemlöser bestimmt sicher.«
Der Saal raste.
Der Installateurmeister vermutlich auch – wenn er das gehört hätte. Möglicherweise hat er bei seinen Berechnungen übersehen, dass Aceton erst unter minus 95 °C gefriert. Das schafft aber der stärkste Rohrfroster nicht.
Selbstredend gingen all diese tollen Vorschläge – insgesamt sollen es etwa 50 gewesen sein – erst Tage nach der Sprengung in der Hauptfeuerwache ein.
Doch es gab auch viele nette Gesten. So stand noch vier Wochen nach der Sprengung mit roter Farbe an eine Schaufensterscheibe geschrieben: »Wir danken der Polizei & Feuerwehr für ihren tollen Einsatz.«
Am Tag nach dem großen Knall setzte sich allmählich auch in der Öffentlichkeit die Erkenntnis durch, wie knapp die Stadt an einer echten Katastrophe mit vielen Toten und Verletzten vorbeigeschlittert war. Rings um den Bombenkrater hatte die Explosion allerdings Millionenschäden angerichtet. Und zwar in einer derart gewaltigen Höhe, dass den Vorständen der zuständigen Versicherung »immer noch die Farbe aus dem Gesicht weicht «, wie Wolfgang Schäuble es in seiner Rede umschrieb: »Die Sachlage ist eindeutig, aber unbefriedigend. Trotz Rechtsstaat sind weder Personen noch Behörden eindeutig juristisch dingfest zu machen. Die Konsequenz: Niemand ist zu Schadenersatzzahlungen verpflichtet. Dennoch sieht man, dass außergewöhnliche Ereignisse auch außergewöhnliche Solidarität hervorrufen. So haben die Schadensversicherer sich nicht weggeduckt und einfach auf dem Kulanzweg viele Schäden beglichen. Auch die Stadt hat ihren Beitrag geleistet und geprüft, was eventuell noch übrig bleibt und ob soziale Härten dadurch hervorgerufen wurden.«
Diese Solidarität war sehr wichtig für die Betroffenen. Immerhin 17 Häuser waren zum Teil massiv beschädigt worden, mehrere Geschäfte, Büros, Wohnungen und ein Lokal brannten aus oder wurden in Teilen zerstört. In vielen Wohnungen wurden die Scheiben eingedrückt, Türen aus den Angeln gerissen und Splitter schlugen in Wände und Möbel ein. An dem großen Bürogebäude einer berühmten Filmproduktion war keine einzige Scheibe mehr heil. Sogar die tonnenschweren Sprengmatten waren teilweise zerrissen oder angesengt worden.
Aber: Es gab nicht einen einzigen Verletzten. Die U-Bahn blieb intakt und konnte nach einer Überprüfung der Statiker schon bald wieder fahren. Und bis auf die direkt angrenzenden Häuser rings um den Bombenkrater konnten viele Bewohner schon am nächsten Tag wieder in ihre Wohnungen zurückkehren.
An der Absperrung spielten sich am Morgen nach der Explosion zum Teil sehr anrührende Szenen ab. Von Feuerwehrleuten begleitet, durften die Anwohner ihre zum Teil schwer in Mitleidenschaft gezogenen Wohnungen und Geschäfte kurz in Augenschein nehmen und das Notwendigste einpacken. Alle mussten dabei zur Sicherheit einen Feuerwehrhelm aufsetzen, weil immer wieder lose Dachziegel und Scherben auf die Straßen fielen.
Es flossen an diesem Tag viele Tränen. Inmitten der vielen Journalisten, Feuerwehrleute und Anwohner stand am Ende eine sehr kleine alte Dame (92), die trotz aller Sorgen freundlich unter dem viel zu großen Helm herauslächelte und vor laufender Kamera erklärte: »Der Schaden in meiner Wohnung hält sich in Grenzen. Ich bin zufrieden und mir geht es gut. Worüber soll ich mich in meinem Alter noch groß aufregen, nicht wahr? Ich habe den Krieg in München überstanden. Da schaffe ich das hier wohl auch noch.« Vor solchen Menschen ziehe ich innerlich meinen Hut. Sie hat uns allen an diesem Tag eine Lektion in puncto Gelassenheit erteilt. Wir alle haben in jener Nacht ja nur einen winzigen Ausschnitt dessen miterlebt, was für unsere Eltern und Großeltern in den Kriegsjahren Alltag war.
Ein Kampfmittelräumer erklärte später im Interview: »Man muss
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