NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
das schlaffe Gesicht im Spiegel in einen freundlichen
und weltoffenen Mittzwanziger mit glattrasierter Haut.
Sein
jetzt strahlendes Spiegelbild lächelte ihn für einen Moment an. Dann plärrte
der Spiegel ihm einen ganzen Wortschwall entgegen, ob er wollte oder nicht. „So
könnten Sie heute aussehen, wenn Sie täglich Youth-Enhancing-Face-Fit-Tonic
anwenden würden. Schon ein kleiner Tropfen jeden Tag genügt, und Sie sehen ein
Resultat. Na, wer kann dazu schon nein sagen?! Guter Mann, Sie haben den
Unterschied gerade mit eigenen Augen gesehen. Greifen Sie zu! Für die
Bestellung der aktuellen Sondergröße machen wir es Ihnen wieder einmal denkbar
einfach: Nicken Sie einmal und schon morgen um diese Zeit erreicht Sie unser
Paket.“
Der
Spiegel machte eine Kunstpause, bevor er in nüchternem und leierndem Tonfall
fortfuhr: „Nebenwirkungen entnehmen Sie dem Beipackzettel. Zur Preisangabe
gesetzlich verpflichtet teilen wir Ihnen mit, dass der Preis pro Einheit ...“
Der Rest verschwamm in der Realität, in der Zeelan wieder einmal langsam und
widerwillig den Kopf hob und senkte.
Auch
wenn sich alles an diesem Morgen verhielt wie immer, Zeelan wurde das
ungemütliche Gefühl nicht los, dass irgendetwas anders war als gestern noch.
Sein getuntes Spiegelbild strafte ihn Lügen, aber der Schwamm, der sein Gehirn
ersetzt hatte, waberte undeutlich von links nach rechts, so als ob er ihm etwas
mitteilen wollte. Im Geiste ging Zeelan den gestrigen Tag noch einmal durch,
jedenfalls die wichtigen Teile.
Neun
Stunden hatte er für seinen Chef über der Analyse einer dusseligen Studie
gesessen und hatte gerechnet, bis sein Kopf geraucht hatte. Dann war er, nach
einem schnellen Glas Whiskey, ins Bad gegangen, um sich für den Abend fertig zu
machen, und es hatte an der Tür geklingelt. Nichts Besonderes.
Ein
Junge in einer schmucken Uniform hatte ihm ein Päckchen gereicht. Er hatte es
entgegengenommen, ohne hinzusehen, denn das Logo des Supermarktes glitzerte
schon wieder aufmerksamkeitsheischend vor sich hin und er hatte neulich
beschlossen, es vorläufig nicht zu beachten. Der Junge streifte den Chip, den
er ihm entgegen hielt, mit seinem Handgerät ab, und das Piepen des Scanners
schlürfte vermutlich den gesamten Tagesverdienst von seinem Konto. An diesem
Tag hatte er wieder einmal nicht genug zustande gebracht, aber das hielt seinen
Kühlschrank schließlich nicht davon ab, Bestellungen abzuschicken.
Er
verstaute die Lebensmittel, und der Frigido-4000 stöhnte bei jedem Teil
genussvoll auf. Zeelan grunzte ihn an, aber der Frigido ließ sich nicht aus dem
Konzept bringen. Nicht für Dinge bezahlen zu wollen, hatte begonnen, als er
einen neuen Kühlschrank brauchte. Warum nicht gleich eine neue Küche? Und warum
bezahlen, wenn man sich sponsern lassen konnte? Genau das hatten die Billboards
in der U-Bahn gesäuselt und dabei die Adresse von Sponsored-Life in sein Hirn
gefurcht.
Hätte
er damals gewusst, dass dieser neue Kühlschrank zwar nur einen Bruchteil der
Energie, aber ein Mehrfaches an Mozzarella und Meeresfrüchten verbrauchen
würde, hätte er sich die Sache noch mal überlegt. Oder er hätte ein Gerät mit
weniger exklusivem Geschmack ausgesucht. Wenn es das gegeben hätte.
Heute
enthielt die Lieferung neben den üblichen Dingen auch neue Marken und Produkte,
die er gar nicht mochte, aber jeder Protest war zwecklos, das hatte er bereits
vor langer Zeit festgestellt. Er würde sich an die neuen Sachen gewöhnen wie an
alles andere auch.
Irritiert,
aber immer noch schlapp und benebelt, versuchte er nicht mehr, sich zu
erinnern, sondern zuerst einmal, sich in präsentable Form zu bringen. Auch wenn
niemand da war, der ihn sehen würde. Diese Art der Eitelkeit konnte er nicht
ablegen. Seine Exfreundin war unter Beschimpfungen davon gezogen. „Junkie“
hatte sie ihm ins Gesicht geschrien, „Konsumsüchtling“ und Schlimmeres. Nur
Wochen, nachdem er den Vertrag unterschrieben hatte. Auch für sie hatte er das
süße Leben gewollt. Aber jetzt an sie zu denken, brachte in ihm wieder den
Trotz hervor, und beherzt griff er zu allem, was ihm in die Finger kam.
Der
Spiegelschrank hatte sich gut gefüllt, und neben einer guten Dosis Koffein
malträtierte er sein Gesicht auch mit Tinkturen, deren Inhaltsstoffe vermutlich
nicht einmal eine Halbwertzeit in diesem Jahrtausend hatten. Ihm war das
herzlich egal, solange es wirkte.
Auf
dem Weg in die Küche quietschte ihn die Flurlampe von der Seite an, aber
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