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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf G. Hilscher
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Ende aller Schmerzen, sogar die Befreiung
deiner Seele. Ganz ohne jede Nebenwirkung.
    Aber
so ist es nicht. Ganz und gar nicht.
    Es
ist ein Gefühl, als hättest du gerade Abschied von jemandem genommen, dich von
ihm abgewendet, ein paar Schritte getan, und schon jetzt weißt du nicht mehr,
wen du da hinter dir zurückgelassen hast. Doch du spürst, wie er dir nachschaut
und manchmal hörst du ihn auch rufen, ohne eine Stimme, aber tief in deiner
Seele.
    Umdrehen,
nein, umdrehen kannst du dich nicht. Deine Beine tragen dich weiter, durch
einen endlosen Korridor, immer weiter fort. Wie lange dieses Gefühl bleibt?
    Für
immer. Es verlässt dich nicht mehr, liegt auf deiner Seele wie ein Schatten,
der das das Hier und Jetzt in einen endlosen Traum verwandelt, als würde sich
die Wirklichkeit hinter einem formlosen Plasma verbergen, das dich verbrennt,
wenn du versuchst, es zu berühren.
    Mein
Gesicht ist das eines Fremden.
    Ich
habe meinen Schädel scannen lassen. Schon vor mehr als einem Jahr. Ein Arzt hat
mir die Keramik und Kunststoffsegmente auf der Aufnahme gezeigt und mir
erklärt, dass sich jemand Mühe gegeben hat, mir einen komplett neuen
Gesichtsschädel zu konstruieren. „Es könnten sogar asiatische Züge gewesen
sein. Aber dazu passen Ihre anderen Werte nicht. Sie sind mit größter
Wahrscheinlichkeit Europäer. Nordwestliches Europa. Und Ihr Akzent, auch wenn
er schwach ist, klingt für mich deutsch.“ Er hat mich skeptisch gemustert.
„Schon ironisch. Sie haben eine Menge Geld für Ihr neues Leben und die Löschung
Ihrer Vergangenheit ausgegeben, und jetzt kommen Sie her, um etwas darüber zu
erfahren?“
    Mein
Smartphone gibt einen leisen Glockenton von sich.
    Mein
Kunde hat überwiesen. Das bedeutet, er hat sich nun selbst vergewissert, dass
sich Kathlyn erinnert.
    Auf
dem kleinen Tisch neben dem Bett steht eine Flasche Whiskey. In der Sekunde, in
der ich sie öffne, höre ich die Schritte.
    Im
Bad, begreife ich. Jemand muss im Bad auf mich gewartet haben. Ich sehe die
große Gestalt noch im Augenwinkel, dann trifft mich der Schlag in die Nieren,
der Schmerz explodiert, und ich sacke auf die Knie. Er ist über mir, hinter
mir, genau wie ich hinter Justine war. Gegen seinen Griff kann ich mich kaum
wehren. Er ist größer als ich, schwerer als ich. Die Stiche in meine Schlagader
kommen nicht überraschend. Er geht genauso vor wie ich. Zwei Injektionen. Und
dann höre ich, wie er es sagt. In meinen Worten, aber mit einem seltsamen
Akzent:
    „Jemand
will, dass Sie sich erinnern.“ Eine helle Stimme, feminin, aber nicht feminin
genug. Sein Gesicht spiegelt sich im Display der Uhr auf dem Nachttisch.
    Der
Ladyboy.
    Meine
Muskeln geben plötzlich nach. Der Injektion muss noch ein Betäubungsmittel
beigemischt gewesen sein. Ladyboy lässt von mir ab, weiß, dass ich nicht mehr
aus eigener Kraft aufstehen kann. Ich sacke nach vorn, während die Nanobots in
meinem Kortex über die Paralyten herfallen, die meine Seele, oder das was davon
noch übrig ist, bis zu dieser Sekunde geschützt haben. Vor der Erkenntnis, wer
ich wirklich bin.
    Es
kann nicht mehr lange dauern. Allenfalls Minuten.
    Aber
es ist anders, als ich erwartet habe.
    Jemand
ruft nach mir, erst eine Stimme, dann viele. Stimmen, denen ich manchmal Namen
zuordnen kann, dann wieder nicht. Meine Umgebung zerfließt, wölbt sich, stülpt
sich um, zerreißt, Orte zerfließen, vermischen sich in einem Orkan von
Assoziationen, Gerüchen, Klängen, Déjà-Vus wie ein ganzes Epos, das jemand in
einem Sekundenbruchteil durch ein Nadelöhr in mein Bewusstsein quetscht. Allein
die Erinnerung an meinen Namen bohrt sich wie eine Klinge in meinen Verstand.
Aber es sind noch so viele andere Klingen. Sekundenlang, minutenlang, tagelang,
eine Ewigkeit.
    Das
erste was ich wieder bewusst wahrnehme, sind meine weißen Knöchel, die sich in
den Teppich krallen und die umgeknickten Fingernägel unter denen Blut hervor
quillt. Dann ist da dieser synthetische Geschmack, der meinen ganzen Mund
ausfüllt. Ich öffne meine Kiefer wieder, spüre, wie sich die Zähne aus dem
billigen Teppich lösen, aus dem ich einen Fetzen herausgerissen habe. Auch mein
Mund ist mit Blut gefüllt, ein Zahn ist abgebrochen.
    Aber
noch viel mehr als das ist zerbrochen.
    Der
Schutzwall meines Verstandes ist von der Flut der Erinnerungen mitgerissen
worden, und die Erkenntnis breitet sich in mir aus wie flüssiges tausend Grad
heißes Metall.
    Ladyboy
schaut mich ausdruckslos an. „Man sagt,

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