NOVA Science Fiction Magazin 20
Dresden. Es gab auch im
Zeitalter der verzugslosen Ferntelegraphie Gespräche, die man besser von
Angesicht zu Angesicht führen sollte. Zaudernd tat Aaron einige Schritte. Weil
die lärmende Menge ihm entgegenkam, verstand er langsam mehr. Von irgendeinem
Attentat war die Rede und von hektischen Telegrammen der königlich-polnischen
Luftüberwachung, von verschwundenen Luftschiffen und merkwürdigen Gerüchten, an
denen doch etwas dran sein müsse.
„Warten
Sie”, sagte eine Stimme, und eine Hand berührte Aaron leicht am Ärmel. Dennoch
fuhr von Hofstaetter erschrocken herum. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er
sofort Satisfaction gefordert, wenn ein Wildfremder ihn so ungebührlich
angefasst hätte, ohne ihm vorgestellt worden zu sein. Er war ruhiger heute, und
der Anblick des Fremden, der wie vom Himmel gefallen neben ihm aufgetaucht war,
tat das seine dazu, den Chevalier in die gewohnte Contenance zurückzugeleiten.
„Sie
sollten sich mit denen nicht einlassen”, sagte der Herr, dessen Erscheinung in
nichts der neuesten Pariser Elegance nachstand. Von den handgearbeiteten
Schuhen über den maßgeschneiderten Anzug bis hin zu einer mit dezenten
Intarsien geschmückten Aktentasche: Alles teuer, erlesen und vermutlich nahezu
unbezahlbar. „Franz Vicomte zu Teufel-Walldorf”, stellte er sich vor und
berührte mit einer angedeuteten Verbeugung die Krempe seines vielleicht eine
Spur zu sommerlichen Hutes. „Falls, was Gott behüte, dem Zeppelin tatsächlich
etwas zugestoßen sein mag, werden diese Leute sich noch deutlich mehr
echauffieren.”
Aaron
stellte sich gleichfalls vor, schüttelte sich, weil es schlagartig noch viel
kälter geworden war, und warf einen Blick auf die lärmende Gruppe. Der von
schreienden Menschen umringte Uniformierte versuchte vergeblich, sich gegen den
Lärm durchzusetzen. Die Worte, die halbwegs verständlich herüberwehten, hatten
einen starken Akzent, und die bunte Uniform legte den Schluss nahe, dass es
sich um einen Offizier der königlich-polnischen Luftüberwachung handelte. Das
machte die Sache bedenklich.
„Die
Mannschaft”, sagte der Vicomte und zog Aaron kaum merklich mit sich fort, „war
natürlich an Bord des Zeppelins, nebst der Fracht, und falls das Schlimmste
eintreffen sollte – nun, auf diesen Linien-Luftschiffen tun fast nur Kaschuben
Dienst.”
Chevalier
von Hofstaetter beschleunigte seine Schritte, ohne in Eile zu verfallen. Es
hatte in jüngster Zeit einige Zwischenfälle zwischen den Volksstämmen in der
Gegend gegeben. Er hatte die Gründe dafür nicht völlig verstanden. Nun ja, um
ehrlich zu sein, hatte er sich nicht sonderlich dafür interessiert.
Der
fein gekleidete Vicomte zupfte das Billett aus Aarons nachlassendem Griff und
warf einen Blick darauf. „Darf ich fragen, in welcher Art von Geschäften Sie
nach Dresden reisen wollten?”, erkundigte er sich.
„Oh,
nichts Besonderes. Mein Unternehmen arbeitet mit einigen Partnern aus ganz
Europa an einem Durchbruch in der Datenverarbeitung.“ Aaron von Hofstaetter
verlor das Interesse an dem Tohuwabohu, das sich um den polnischen Offizier
bildete. „Wenn wir es richtig anfangen, dann gelingt uns vielleicht ein
Sprung, der bedeutender ist als damals die Verbilligung der Zeppeline nach der
Entdeckung der …”
„Das
wäre in der Tat bedeutsam”, unterbrach ihn der Vicomte und überreichte von
Hofstaetter mit schwungvoller Geste zunächst dessen eigenes, jetzt wohl
wertloses Billett und danach ein Kärtchen, das wie durch Zauberei zwischen
seinen Fingern aufgetaucht war. Finger übrigens, die in sehr weichem und sehr
teurem Leder steckten, wie von Hofstaetter bemerkte.
„Alle
Fortschritte auf diesem Gebiet interessieren mich sehr”, setzte zu
Teufel-Walldorf hinzu.
Von
Hofstaetter konnte seinen Blick für etliche Sekunden nicht von der Visitenkarte
wenden. Er hatte nicht richtig hingesehen. Es war kein Goldrand auf der Karte.
Es war nicht einmal eine Karte, zumindest keine aus Papier. Diese spezielle
Visitenkarte bestand aus dünnem Platin, das von Hand gehämmert und so mit
farbigem Lack bemalt worden war, dass der Rand und die Buchstaben
platinschimmernd sichtbar blieben. Solche Visitenkarten wurden in Übersee und
in den Kolonien hergestellt, wo Rohstoffe und Arbeit billig waren, und nur
wenige Unternehmen leisteten sich den Luxus, solche Karten herstellen zu
lassen. NIXDORF & SIEMENS ELECTRICITÄTS-ACTIENSOCIETÉ stand da geschrieben,
und unter dem Namen des Vicomtes prangte der
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