November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
gegen die Soldatenräte, wie das selbstverständlich war. Man hörte von langen Konferenzen. Plötzlich Befehl von oben: nachgeben.« Barrès: »Da haben Sie’s, das Arrangement, die Linie.«
Der Advokat: »Unzweifelhaft. Andererseits geht auch nicht alles, wie man will. Da marschierte vor acht Tagen eine Division mit klingendem Spiel ein, alle Gradierten mit ihren Abzeichen, keine roten Schleifen. Am Tage darauf die Revolte. Es war elementar.«
Barrès horchte auf: »Was Sie sagen. Also Sie glauben, daß was an der Revolution ist?« »Meister Barrès, die Generäle und die Regierung benutzen sie, um sich Ansprüchen, die kommen werden, zu entziehen. Man wird es aber nicht leicht mit ihnen haben.« Barrès streckte sein erstauntes Gesicht in den hellen Bereich der elektrischen Tischlampe: »Es gibt Revolutionäre bei den Deutschen? Machen Sie keine Witze.« Der Advokat ernst: »Es gibt.« »Und was wollen sie?« »Frieden. Ich weiß nicht. Ruhe, Brot, keine Offiziere.« Barrès: »Moskau?« »Spielt auch mit. Weltrevolution habe ich öfter im Arbeiterrat gehört. Sie wollen den Militarismus und Kapitalismus ausrotten.«
Barrès ließ sich achselzuckend zurückfallen: »Phrasen. Die Phrasen kenne ich. Sie wollen sich insolvent erklären, um nicht zahlen zu müssen.«
Der Advokat tauschte einen kurzen Blick mit seiner Frau, die vornübergebeugt, den linken Ellbogen auf dem Knie, den Kopf aufgestützt, aufmerksam zuhörte. Sie hatten gestern, als sie erfuhren, daß Barrès ins Elsaß käme, davon gesprochen, was er für ein Sozialistenfresser war; am Vortage der Ermordung Jaurès’ hatte er Worte in der Kammer gebraucht, die man als eine Ankündigung des Attentats auffassen konnte, aber nach dem Attentat ging er in das Haus des gemeuchelten Gegners und drückte seiner Tochter und dem anwesenden Sozialisten Blum die Hand – doch ein grader Mensch, ein Charakter.
Barrès warf einen verschleierten Blick auf die Dame: »Ich erscheine Ihnen hart, Madame? Doch. Ich sehe es. Ich möchte Sie bitten, zu meinen Gunsten etwas zu erwägen. Wir vertreten ein großes, stolzes, mit den Füßen getretenes Volk. Man hat 1870 unsere Schwäche benutzt, um uns zu besiegen und diese Provinzen vom Mutterlande abzutrennen. Wir sind dann abermals von demselben Gegner überfallen worden. Er dachte uns in der Dekadenz, im Zustand der Schwäche von 1870. Wir haben Schwächeanwandlungen während des Krieges gehabt. Das Blut floß in Strömen von uns. Der Gegner war übermächtig, mehr als das, grausam, erbarmenlos, ohne Gnade gegen schwach und stark. Er hatte nur Augen für seinen Sieg. Er riß unsern heiligen Boden auf, um sich in ihm festzusetzen. Aber dieser Boden hat Jeanne d’Arc hervorgebracht. Ein dämonischer Schrecken ging dem Feind voraus. Städte, Dörfer, Kirchen legte er in Asche. Er wollte siegen. Ein und eine halbe Million unserer besten Männer mußten sich opfern, um ihn aufzuhalten. Es blieb kein Krieg Frankreichs, Englands, Amerikas. Der Christ, der Katholik, der Protestant, der Jude, der Lehrer, der Priester trugen ihren Geist in diesen Krieg hinein. Sie machten ihn christlich, protestantisch, katholisch, jüdisch. Sie haben ihn zu einem Religionskrieg gemacht. Ich, Madame, blieb, was ich war: ein kleiner Rufer im Streit. Aber wenn Sie diesen abgelaufenen und noch nicht beendeten Streit so ansehn, so werden Sie mir einiges an dem oder jenem Ausdruck verzeihen. Nennen Sie mich nicht hart. Nennen Sie mich gläubig.«
Sie war blaß geworden und flüsterte: »Ich bitte um Entschuldigung, ich wollte nicht kränken.« Die Tränen stiegen ihr in die Augen, er beugte sich und küßte ihr die Hand: »Ich habe um Entschuldigung zu bitten, Madame, für so schwere Worte in Ihrer schönen Bibliothek und am Kaffeetisch.«
Der kahlköpfige Lothringer erhob sich mit einem Seufzer: »Große Tage, verehrte Herrschaften. Sie haben für unsereins die Kehrseite, daß sie uns keine Ruhe gönnen. Leider, leider muß ich mich verabschieden.«
Auch Barrès stand auf, lebhaft: »Sie gehen auf die Straße? Aber ich komme mit. Ich will sehen, hören, schmecken. Ach, liebe Freunde, wie bin ich glücklich.«
Und der drückte nacheinander allen die Hand mit einer Innigkeit, die sie von dem reservierten Mann nicht erwartet hatten.
Als der Advokat Kössel mit seiner Frau allein im Musikzimmer stand und sie zu dem leeren Ecksofa herübersahen, umarmte sie ihn, klammerte sich an ihn: »Ich bin traurig.«
Er streichelte sie leicht: »Ich
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