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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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ist ein Prometheus, der zu seinem eigenen Geier wird.
    Barrès: »Sie wollen den Kaiser zum Sündenbock machen. Man kann es verstehn, kein schlechter Einfall. Einige Engländer spielen die Partie mit, ich weiß nicht warum. Eine listige Idee. Die Unehrlichkeit liegt auf der Hand. Das Werk des Kaisers ist von allen Deutschen gebilligt worden. Sie haben stillgehalten, gekämpft, Munition hergestellt, bis es nichts mehr nützte. Grade in Elsaß-Lothringen ist es wichtig, dies vollkommen klarzulegen, in Rücksicht auf alles, was jetzt kommt, die Säuberung des Landes, das große Sieben. Dies war kein Krieg der Hohenzollern, sondern von ganz Deutschland. Mit wenigen Ausnahmen, die nicht rechnen. Ganz Deutschland wirkte mit, gab Helfershelfer. Natürlich, jetzt, wo es gilt, die Rechnung zu bezahlen, verfluchen sie ihn. Sie rivalisieren in der Wut auf die Dynastien. Nein, sage ich, nein, dreimal nein! Mit Blut an den Händen, die Lüge im Gesicht gleicht jeder Deutsche den Hohenzollern.«
    Das legte er kalt und sicher hin. Sie sahen ihn und erkannten ihn, den Unermüdlichen, der seit Kriegsbeginn jahraus, jahrein, vier- und fünfmal in der Woche unter einem nicht nachlassenden inneren Drang und Druck seine Artikel im »Echo de Paris« losließ, treibend, angreifend, verherrlichend, denunzierend – und immer nur zwei Worte: Frankreich und Sieg. Der junge Advokat hatte in Neuilly den Hellenisten besucht. Wie er sich verändert hatte, wie er sich in den Krieg geworfen hatte, sein ganzes Wesen brannte um den Krieg, aber es zerfraß ihn auch. Wie schmal er war. Es sah aus, als ob er den Triumph nicht lange überleben würde.
    Die Dame überwand ihren Schrecken, je länger sie ihn betrachtete. Der weibliche Wunsch zu dämpfen stieg in ihr auf. Sie erzählte: ihr Mann habe ihr eine französische Zeitung verschafft, es sei schon länger her, vom Anfang des Monats, aus der Zeit vor dem Waffenstillstand. Und da habe sie mit großer Freude von einer Festsitzung gelesen, die in der Sorbonne zu Ehren Elsaß-Lothringens stattfand (Barrès nickte verbindlich) unter dem Vorsitz eines Staatssekretärs aus dem Kriegsministerium (Barrès: Unterstaatssekretär Jeanneney). »Pardon, und neben Charles Andler, den wir kennen, und unter anderen haben auch Sie gesprochen. Das hat uns sehr gefreut, weil wir immer glücklich sind, wenn wir Ihrem Namen begegnen. Sie glauben ja nicht, Herr Barrès, wie Bücher verbinden, und wie Sie auch meinen Mann und mich verbinden (ein überraschter und ungewöhnlich zarter, langer Blick von Barrès über die beiden jungen Leute). Und dann sprachen Sie vom Elsaß und unserm Dialekt. Sie haben uns damit unsäglich froh gemacht.«
    Barrès: »Ich kenne das Elsaß, Madame. Es hat einen wunderbar feinen herzlichen und humoristischen Dialekt. Wir werden leider nur im Hochdeutsch ausgebildet, so daß uns viele Nuancen dieser urwüchsigen Sprache entgehen. Man hat keinen Grund, sie mit dem Hochdeutsch zu vermengen. Man will damit nur eine Abhängigkeit, die politische Abhängigkeit des Elsaß von Deutschland beweisen. Ich sagte in der Sorbonne, Sie lasen es, der Elsässer Dialekt wird sich gut unserm Provenzalisch, Baskisch, Bretonisch und Flämisch anschließen. Wir werden, kulturell, langsam vor eine Art Dezentralisierung gestellt. Wie denken Sie darüber, mein Freund?« Er richtete sich an den Redakteur. Der hob beide Hände: »Man beglücke uns nicht zu sehr. Man lasse uns ruhig einmal erst wieder Frankreich kosten. Das ist jetzt unser aller und unser einziger Wunsch.« Barrès: »Um so besser.« »Sie werden uns darum nicht gleich mit Haut und Haaren verschlucken wollen. Übrigens wissen Sie, Herr Barrès, daß Sie in dem Straßburg sind, das Frankreich die Nationalhymne gegeben hat?« Barrès lebhaft: »Er hat hier ein Denkmal, eine Plakette, Rouget de Lisle?« Die Dame lachte: »Wo denken Sie hin, Herr Barrès.« Er zog sein Notizbuch: »Ich merke es mir vor.« Die Dame mit einer scherzhaften Verbeugung: »Aha, der Herr Abgeordnete.« »Ich konnte leider nicht Frankreich im Schützengraben dienen, Madame. Aber ich nehme sonst, ohne mich an einem Nachbarn zu stoßen, jede Position an, wo ich nutzen kann.«
    Der Advokat: »Weil wir von Autonomie sprechen, ist den beiden Herren das merkwürdige Manöver à la Lenin bekannt, das man vorige Woche hier mit uns spielen wollte? Ah! Das freut mich. Da kann ich mich ein wenig, aber nur ein wenig für die phantastische Metzer Geschichte von Herrn Barrès revanchieren.« Der

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