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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Polizeihochschule in Villingen-Schwennigen fürchten
     gelernt hatte und den er inzwischen, nach vielen Jahren, mit einem Gefühl der Belustigung, aber auch des Befremdens betrachtete.
     Unbestritten war, dass Dr.   Fassbinder nicht nur als kleiner König in seinem Reich regierte, sondern auch eine Koryphäe auf seinem Gebiet war. Dass seine
     Scherze oftmals auf Kosten anderer gingen und er Schwierigkeiten hatte, andere Meinungen neben seiner eigenen gelten zu lassen,
     war eine Begleiterscheinung, die man in Kauf nehmen musste und die ihm bei Sommerkorn den Beinamen »Richter über Gott und
     das Universum« eingebracht hatte. So war Sommerkorns Stimme gedämpft, als er Fassbinders Nummer auf seinem Display aufleuchten
     sah.
    »Sommerkorn.«
    »Warum hat man mich nicht gerufen?«
    »Auch Ihnen einen schönen guten Morgen!«
    Statt den Gruß zu erwidern, bellte der Professor in die Leitung: »Vielleicht hätte der Herr Kommissar die Güte, mir zu erklären,
     was ihn bewogen hat, einen gewöhnlichen praktischen Arzt die Leichenschau vornehmen zu lassen!«
    Sommerkorn unterdrückte ein Seufzen.
    »Wir sind davon ausgegangen, dass es sich um ein Drogenopfer handelt. Aus Ihren Worten schließe ich, dass dem nicht so ist?«
    »Da haben Sie ja diesmal ins Schwarze getroffen!«
    »Was haben Sie mir also mitzuteilen?«, fragte Sommerkorn betont förmlich, obwohl er atemlos auf Fassbinders Antwort wartete.
     Wenn der Professor persönlich sich herabließ, ihn anzurufen, dann konnte das nur eines heißen   …
    »Leander Martìn. Die Obduktion hat ein paar bemerkenswerte Details ergeben.« Es folgte eine Kunstpause, dann fügte er hinzu:
     »Die Arbeit für Sie bedeuten.«
    Sommerkorn blies Luft aus. Er wusste, dass er jetzt nachfragen musste, sonst würde sich das Schweigen ewig hinziehen. Fassbinder
     konnte wie eine eigenwillige Primadonna sein, die jede Gelegenheit wahrnahm, die Spannung zu erhöhen.
    »Na, dann lassen Sie mal hören«, sagte Sommerkorn und fühlte sich wie ein Schaf. Er hasste es, den Erwartungen anderer zu
     entsprechen. Gab es nicht anderswo eine Oper, in der Fassbinder auftreten konnte? Warum konnte der Mann nicht einfach seine
     Arbeit machen und ihnen dann das Ergebnis mitteilen!
    »Wir haben es hier, wie gesagt, mit mehreren bemerkenswerten Details zu tun. Erstens: Der Junge war bis zum Rand abgefüllt
     mit Gamma-Hydroxy-Buttersäure.«
    »K.-o.-Tropfen.«
    »Richtig, junger Freund. Da wird man doch gleich wieder wach, nicht wahr?«
    »Niemand bringt sich K.-o.-Tropfen selber bei. Also können wir davon ausgehen   …«
    »…   dass es ein anderer war, der ihm das Mittel verabreicht hat.«
    »Aber das ist noch nicht alles, nehme ich an?«
    »Er ist nicht daran gestorben. In seinen Atemwegen haben wir Fasern gefunden, und nach eingehender Analyse kann ich sagen,
     dass der junge Mann mit einem Kissen erstickt wurde.«
    Sommerkorn brauchte einige Sekunden, bis die Nachricht bei ihm angekommen war. Also hatten sie es nicht mit einem Drogentoten
     zu tun. Er hatte es geahnt. »Als wollte jemand ganz sichergehen«, murmelte er ins Telefon.
    »Zweitens: Die Verletzungen an den Handgelenken haben wir genau untersucht, wenngleich mir ziemlich bald klar war, worum es
     sich handelt.«
    Es folgte eine Definition, die gespickt war mit lateinischen Begriffen und die Sommerkorn wie eine lauwarme Brise an sich
     vorüberziehen ließ. Endlich hörte er den Mediziner das aussprechen, was relevant war.
    »Stacheldraht. Seine Handgelenke wurden mit Stacheldraht gefesselt. Und das ist vor seinem Tod geschehen.«
    Sommerkorn dachte nach. Der Junge war also vor seinem Tod gefoltert worden.
    »Tja, der Fachmann staunt. Und der Laie wundert sich«, sagte Fassbinder.
    Sommerkorn, der ahnte, wen Fassbinder in diesem Kontext für den Fachmann und wen für den Laien hielt, verzog gelangweilt das
     Gesicht.
    »Eine Sache allerdings konnten wir nicht zu unserer Zufriedenheit lösen.« Bei wichtigen Entdeckungen verwendeteFassbinder stets den Singular, bei sich abzeichnenden Schwierigkeiten oder gar Problemen kannte er nur den Plural.
    »Ja?«
    »Im Mund des jungen Mannes fanden wir einen Zettel, ein Stück Papier. Es ist noch erkennbar, dass etwas von Hand darauf geschrieben
     wurde. Den Text konnten wir jedoch nicht mehr rekonstruieren. Wir haben ihn ans LKA weitergegeben. Vielleicht haben die mehr
     Erfolg. Im Moment wissen wir lediglich, dass es drei Wörter gewesen sein müssen.«
    Ein toter Junge, der misshandelt

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