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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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anrufen. Zuerst dachte ich, es sei was mit
     den Kindern. Aber die Nummer   … Es war die der Polizei Ravensburg   …« Paula drehte den Kopf ein wenig zur Seite, ihre Lider flatterten. Sie sieht so müde aus, dachte Marie, so müde und so schutzlos.
    »Weiß es Andreas schon?«
    Paula schüttelte fast unmerklich den Kopf, ihre Augen waren geschlossen. Ihre Atemzüge wurden langsamer, ruhiger. Marie erhob
     sich vorsichtig und sagte leise: »Ich ruf ihn an.«
    Aber Paula reagierte nicht, und Marie wusste nicht, ob sie ihre Worte überhaupt gehört hatte.
     
    ☺
     
    Seit ER da ist, ist alles besser. Wenn ich früher eine richtige Antwort auf eine schwierige Frage gab, haben alle gestöhnt,
     fick dich, Klugscheißer, der schon wieder, kann der nicht einmal seineverdammte Schnauze halten! Sie haben gefeixt und dumme Geräusche gemacht. So dass ich mich irgendwann nicht mehr gemeldet
     habe. Selbst wenn die Lehrer mich aufrufen und die Antwort richtig ist – und das ist sie immer   –, grunzen sie oder machen sonst was Dämliches. Doch seit ER da ist, ist alles anders. Denn ER ist selbst klug. Und ER sagt,
     die Besten müssen sich zusammentun und diesen Augiasstall ausmisten, in den die Welt sich verwandelt hat. ER liebt die griechische
     Mythologie. Da herrschte noch Klarheit, sagt ER.   Und wenn nicht, dann hat man sie kurzerhand wiederhergestellt.
     
    *
     
    Es war kurz nach halb elf, als sie Sommerkorns Wagen vor dem Haus vorfahren hörte. Er war blass, und an Wangen und Kinn hatten
     sich dunkle Schatten gebildet. Wie anziehend er ist, dachte Marie wie immer, wenn sie ihn sah, ein wahrer Heathcliff, es stand
     ihm, sich nicht zu rasieren. Gleich darauf schämte sie sich für diesen Gedanken, der in diesem Moment so unpassend war.
    Paula war inzwischen eingeschlafen, und so gingen sie in die Küche, schlossen die Tür und setzten sich einander gegenüber,
     gerade so, wie Marie und Paula einander zuvor gegenübergesessen hatten. Sommerkorns Blick lag auf seinen Händen, die vor ihm
     auf der Tischplatte ruhten.
    »Ich konnte nicht früher, ich komme direkt vom Friedhof. Sie haben dort einen toten Jungen gefunden.«
    Er sah sie an, mit dem Blick, der sie schon auf dem Schulhof gefesselt hatte. All die Jahre, schoss es ihr durch den Kopf,
     all diese Jahre, die ich fort war. Und nun bin ich wieder da. Sie atmete tief durch und hörte ihn weitersprechen.
    »Ich habe mit dem Kollegen aus Ravensburg gesprochen. Erik ist gegen sechzehn Uhr mit ein paar anderen Springern ins Flugzeug
     gestiegen und wie immer als Letzter gesprungen.Aus irgendeinem Grund ist weder der Haupt- noch der Reserveschirm aufgegangen. Er ist praktisch ungebremst nach unten gerast.«
    Sommerkorn verstummte abrupt und rieb sich das Gesicht mit den Händen. Stille machte sich breit, die Küchenuhr tickte überlaut,
     das Feuer knackte. Und wie schon zuvor rüttelte der Wind an den Fenstern, als forderte er Einlass.
    Marie starrte ins Leere. Plötzlich erschien ihr alles unwirklich. Sie hier in der Küche mit Sommerkorn, Paula im Wohnzimmer.
     Und Erik tot. Zerschmettert. Erik, der in den Tod gerast war. Es war wie in einem fürchterlichen Film, einem Actionthriller,
     einem von der Sorte, die von Effekten lebten. So etwas geschah doch nicht wirklich! Bald würden sie aufwachen, ein Regisseur
     käme herein und würde »Schnitt« sagen.
    »Ich kann es nicht fassen«, sagte Sommerkorn und riss Marie aus ihren Gedanken. Er schüttelte stumm den Kopf und blickte ausdruckslos
     auf die Tischplatte.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte Marie. »Tee?«
    Sie betrachtete ihn, und für einen flüchtigen Moment schauten sie einander direkt an. Marie dachte daran, welcher Albtraum
     für sie gerade erst zu Ende gegangen war. Ein Psychopath hatte sie in seine Gewalt gebracht, und es war ihr wie durch ein
     Wunder gelungen, ihn zu überwältigen. Paula und deren Bruder Andreas Sommerkorn, den sie bei sich nur Sommerkorn nannte, hatten
     ihr unermüdlich beigestanden in den schlimmsten Wochen ihres Lebens. War das wirklich erst kürzlich geschehen? Ihr kam es
     vor, als begleite dieser Albtraum sie schon ein halbes Leben. Und jetzt das. Paulas Welt in Scherben. An die beiden kleinen
     Mädchen, die nun ohne Vater aufwachsen würden, durfte sie gar nicht denken! Ganz egal, wie viel Zeit vergehen würde, es würde
     nie wieder gut werden. Nie wieder.
    »…   nicht ausgelöst hat, aber das werden die Untersuchungen klären.«
    Marie sah auf. »Wie

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