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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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wieder in seine Halterung, ohne
eine Antwort abzuwarten. Er sprang an mir vorbei, ins Treppenhaus,
rannte hinunter.
    »Jo!«, schrie ich, wollte
hinterher, aber die Wohnungstür hatte die Angewohnheit, leicht ins
Schloss zu fallen, und ich hatte keine Schlüssel griffbereit.
    Jo lief aber nur eine Etage
tiefer. Ich hörte, wie er etwas zischte, dann kam er langsam wieder
die Treppe hoch, sein geliebtes Nokia in der Hand.
    Ich schloss kurz die Augen. Als
ich sie wieder öffnete, sah ich ein Handy-Display.
    »Ist wirklich kaputt«, sagte
Jo.
    »Das wundert mich nicht, bei
der Behandlung«, antwortete ich und griff nach dem Gerät.
»Jedenfalls hat es keinen Empfang«, stellte ich fest, während wir
hinein gingen. Ansonsten sah es intakt aus. Solide gebaut, im
Gegensatz zu billigen China-Kopien.
    Erst jetzt sah ich die Uhrzeit,
die das Nokia auf seinem Display verkündete. »Scheiße«, entfuhr
es mir. Ich knallte die Tür zu und eilte an Jo vorbei, der die
Gegensprechanlage mit triumphierendem Blick betrachtete. »Ich muss
im Büro anrufen, dass ich später komme«, sagte ich und lief zum
Schreibtisch, auf dem mein eigenes Handy lag. Mit feuchten Fingern
suchte ich die Nummer, wollte wählen, aber das Gerät piepte nur
traurig. »Auch kein Empfang«, stellte ich erstaunt fest.
    Das Festnetz-Telefon, halb
verstaubt, stand auf dem Sideboard. Ich hob ab und hörte nur
Rauschen. Jo grinste mich an.
    »Das ist auch tot«, sagte ich
mit belegter Stimme.
    »Cool«, meinte Jo.
    Ich schüttelte den Kopf.
»Komischer Zufall.« Mein Blick tastete haltlos durch Raum. »Findest
du das nicht seltsam?«
    Jo zuckte nur mit den
Schultern.
    Ein paar Schritte, und ich
stand vor dem Fernseher. Schaltete ihn an. Ein Testbild vom
Kabeldienstleister. Ich drehte mich um. Jo war nicht mehr zu sehen.
    »Wo ist die Scheiß
Fernbedienung?«, rief ich.
    Jo tauchte wieder auf, zuckte
mit den Schultern. Er hatte sein Handy in der Hand und die Ohrhörer
eingestöpselt. »Radio«, sagte er und hielt mir einen Ohrstecker
hin. Ich griff danach, als wäre er die letzte Verbindung zur
Zivilisation. Dass das stimmte, wurde mir klar, als Jo und ich, die
Köpfe nah beieinander, weil das Kabel zu kurz war, die Sondersendung
im Radio hörten, wo sie über die zahlreichen Explosionen
berichteten. Irgendjemand hatte systematisch Glasfaserkabel,
Übergabepunkte und Rechenzentren in die Luft gesprengt.
    »Shit«, sagte ich.
    »Bumm«, machte Jo und
grinste. Er hüpfte durchs Wohnzimmer und machte dabei »Bumm! Bumm!
Buuumm!«

    *
    Wir müssen drei Jungs
zurücklassen. Versprechen, Hilfe zu holen. Hilfe? Was für Hilfe?
Bis wir zurück kommen, sind sie tot. Also kommen wir nicht zurück.
Vielleicht stirbt es sich besser, wenn man hofft, im letzten Moment
käme doch noch die Rettung. Wie in den alten Filmen. In der
Wirklichkeit kommt die Rettung nie. Bloß irgendwann die Krähen.
    Irgendwie kämpfen wir uns
durch das Dickicht am Rheinufer, stehen auf der leeren Bundesstraße.
Rechter Hand, ein ganzes Stück flussabwärts, liegen Bäume quer
über der Fahrbahn.
    »Eine Grenze«, sagt Helmar.
    Ich nicke. »Fragt sich nur, ob
wir uns diesseits oder jenseits befinden.«
    Helmar sieht mich nur an. Sein
Mund steht offen, die Kinnlade zuckt. Seine Stirn besteht
hauptsächlich aus einer riesigen, leuchtend roten Beule.
    »Es wird dunkel«, sagt einer
der anderen Jungs.
    »Scheiße«, murmelt der Rest,
gleichzeitig, im Chor, wie das Amen am Ende einer Andacht.
    »Licht«, zischt plötzlich
ein hochgewachsener Glatzkopf, dessen Name mir nicht einfällt. Er
steht mitten auf der Straße, ist einige Schritte rheinaufwärts
gelaufen, hat als einziger von uns die Möglichkeit, um die Kurve zu
schauen.
    »Okay«, sagt Helmar, »Freund
oder Feind?«
    Hans, ein blonder Hüne, der
eigentlich Kevin heißt, baut sich neben Helmar auf. »Feind, was
sonst?«, sagt er.
    »Also andere Richtung?«,
fragt jemand.
    »Ja«, nickt Hans. »Wir
brauchen was zum Übernachten. Eine Ruine. Ein Haus. Ein leeres. Wir
wollen niemanden stören. Die Nacht wird kalt.«
    »Ja, ein beschissenes Haus«,
murmelt Helmar.
    »Am Rhein gibt es alle paar
Kilometer eine Ortschaft. Wir werden schon was finden.«
    Also gehen wir los. Steinchen
knirschen unter unseren Sohlen, soweit wir noch Schuhe tragen. Nackte
Füße klatschen auf den Asphalt, unterbrochen von gelegentlichen,
unterdrückten Flüchen. Neben mir geht der Glatzkopf. »Was war das
für ein Licht?«, frage ich ihn leise.
    »Ein Zug«, entgegnet er

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