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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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dabei an den blonden Hans denken.
    Ich konzentriere mich lieber
wieder auf das Notebook des Königs. Nur mit Mühe habe ich die
Schrauben lösen können, weil passendes Werkzeug fehlt.
    »Da baut man ein Äquadukt
oder ein Kolosseum, und die Leute sind gesund und fröhlich. So
einfach ist das in Wirklichkeit aber nicht.« Der König stellt sein
Glas auf den Tisch und erhebt sich. »Nach dem Zusammenbruch habe ich
meine Software an die neuen Verhältnisse angepasst, während die
anderen Leute im Zug vor Panik geheult haben.«
    »Ein paar haben sich auch
umgebracht«, wirft Krimhild ein.
    Der König steht jetzt hinter
mir. »Wie sieht's aus?«
    »Ganz gut«, sage ich leise.
»Der Lüfter war völlig verklebt, dadurch hatte sich der Prozessor
überhitzt. Aber er ist nicht kaputt, denke ich.«
    »Ich bin erleichert«, seufzt
King Long, legt die Hände auf den Rücken und tritt ans Fenster.
Während er den Vorhang etwas zur Seite schiebt, redet er weiter:
»Ich habe diesen Zug und den Güterzug auf dem Nachbargleis als
natürliche, aber begrenzte Ressourcen in die Simulation eingefügt.
Die Zufriedenheit der Leute lässt sich zusammen mit ihrer Motivation
über Sex regeln. Es ist erstaunlich, wie einfach Menschen
funktionieren, wenn es keine Einflüsse gibt, die das Leben
verkomplizieren. Wie Intelligenz zum Beispiel. Stimmt's, Krimhild?«
    »Genau«, antwortet der
Bärtige. »Als wir die Knarren im Güterzug gefunden haben, haben
wir erstmal alle umgelegt, die uns zu schlau waren.«
    »Was ist mit
Nahrungsmitteln?«, frage ich, während ich eine klitzekleine
Schraube an ihren Bestimmungsort bugsiere.
    »Das ist eine einfache
Gleichung«, wischt der König die Frage beiseite. »Wir verringern
die Anzahl unserer Feinde, indem wir sie essen.«
    Mir fällt die Schraube aus der
Hand. Ich kneife die Augen zu und versuche, das Gesagte aus meinem
Kopf zu verbannen. Meine rege Fantasie projiziert Agnes Lächeln auf
die Innenseite meines Schädels. Wie es ihr wohl geht? Und was macht
Jo, den ich seit jenem Morgen nicht mehr gesehen habe? Leidet er
unter Entzugserscheinungen, weil Handy und Internet nicht mehr
funktionieren?
    »Was ist?«, fragt der König.
Seine Stimme schneidet das Bild von Jo in zwei Hälften. »Glaubst du
wirklich, dass unter den gegebenen Umständen künstliche
Konstruktionen wie Moral und Ethik noch etwas anderes sind als
hinderlich? Moral kommt in meinen Gleichungen als Bremsfaktor vor.
Bremsfaktoren muss man minimieren. Der Brave ist im Zweifel der
schwächere. Und wenn es keine Gesetze oder Polizisten gibt, die den
Schwachen vor dem Starken schützen, ...«
    »Dann sollte man besser auf
der Seite des Starken sein«, ergänze ich.
    »Hier«, sagt der König und
winkt mich zu sich. »Schau hinaus.«
    Ich trete neben ihm ans Fenster
und sehe ein paar improvisierte Zelte und Feuerstellen. Leute sitzen
drumherum. Am Straßenrand stehen zwei LKW, beschmiert mit Graffitti,
oben drauf ein Wachposten. Ich schaue ganz nach rechts, wo ich
aufgrund der Kurve das dunkle Ende des Zugs sehe, und dahinter den
braunen Güterzug kaum von dem Abhang dahinter unterscheiden kann,
dann fällt mein Blick wieder auf den LKW und bleibt daran hängen.
    »Die hier sind auf meiner
Seite. Sie langweilen sich ein bisschen, weil nichts mehr im
Fernsehen kommt, aber sie tun, was ich ihnen befehle, weil sie mich
respektieren«, sagt der König. Seine braunen Augen suchen plötzlich
meine, und ich beginne zu schwitzen.
    Ich muss die unausgesprochene
Frage beantworten, und das besser sofort. »Ich habe zwar keine
Ahnung, wie mir Menschenfleisch bekommt ...«, beginne ich.
    »Wenn dich Gammeldöner nicht
umgebracht hat ...«, unterbricht Krimhild.
    »... aber für den Fall, dass
Euch wieder einmal der Computer kaputtgeht, wäre es doch günstig,
jemanden zu haben, der ihn reparieren kann, oder?«
    Der König nickt
staatsmännisch. Er hat das echt drauf. Ein hervorragender
Schauspieler. »Willkommen in meinem unmoralischen Regime, mein
IT-Minister«, sagt er. »Jetzt darfst du dich in den Harem begeben.
Hier hast du eine Freikarte.« Er reicht mir einen 50-Euro-Schein mit
einer grünen Unterschrift darauf.
    »Sehr großzügig, aber ich
bin müde.«
    »Wirklich? Es ist für jeden
Geschmack etwas dabei.«
    Ich verziehe das Gesicht zu
einem bemühten Lächeln, und als der König schulterzuckend den
Geldschein einsteckt und den Vorhang wieder vors Fenster zieht, kann
ich noch einen letzten Blick auf den LKW werfen.
    Und auf das

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