Nr. 13: Thriller (German Edition)
es kaum fassen. Er kannte nur eine der drei Personen, ahnte aber, dass es sich um ein Bild von der damals noch intakten Familie Haas handelte. Es war in einem Studio aufgenommen worden. Schlecht ausgeleuchtet stand Stefan Haas steif hinter einem Stuhl, auf dem seine Ehefrau mit einem affektierten Lächeln saß. Seine Hand lag auf ihrer Schulter, ihre berührte den Lockenkopf von Noel, der vor ihnen auf dem Boden hockte und als Einziger so natürlich wie die Sonne strahlte. Damals musste der Junge um die zwei Jahre alt gewesen sein, schätzte Daniel.
Der rosafarbene Hintergrund erinnerte Daniel an Zuckerwatte, viel zu süßlich und künstlich –, und er biss sich mit der Haarfarbe von Verena Haas. „Das ist das rothaarige Mordopfer!“
„Wie bitte?“ Leander ging wohl ein Licht auf, denn sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er legte den halb zerrupften Muffin auf den Teller, trank einen Schluck und betrachtete das Foto intensiv. „Du meinst die Frau, die Elisabeth Hamacher in der Bruchstraße 13 gesehen haben will?“
„Sie hat einen orangeroten Schopf, ist schmächtig und hat einen kleinen Busen.“
„Aber die Frau, die sie beschrieb, war jung.“
„Von hinten sah Frau Haas bestimmt jünger aus, als sie war. An der ist kein Gramm Fett zu viel.“ Daniel fand sogar, dass sie dadurch recht kiebig aussah. „Außerdem war sie wie ihr Mann erst knapp über 30. Als Marie Frau Hamacher im Altenheim aufsuchte, um ein Phantombild vom Täter zu zeichnen, sagte sie ihr, das Opfer hätte schlaffe, hängende Brüste gehabt, wie bei einer älteren Person oder einer Mutter.“
„Und Verena Haas hat einen Sohn. Bleibt aber noch ein Problem. Ein gravierendes. Eins, das deine Theorie zunichtemacht, dass Verena Haas die Frau sein könnte, die vor dem Feldstecher von Frau Hamacher ermordet wurde.“ Leander drehte sich zu ihm. „Sie war bereits tot – umgekommen bei der Autoexplosion –, als die Rothaarige ermordet wurde.“ Daniel wollte etwas sagen, doch Leander hob seine Hand, um ihm zu bedeuten, dass er noch nicht fertig war. „Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Elisabeth Hamacher einige Tage früher Zeugin des Mordes war, als sie angab, weil ihre Erinnerung durch die Beruhigungstabletten ihrer Tochter getrübt ist, liegen Beobachtung und Todeszeitpunkt zu weit auseinander.“
Damit hatte er recht. Daniel wusste selbst keine Erklärung dafür. „Gloria, die ich nach dem Unfall von Stefan Haas im Kiosk befragt habe, hat einen Jungen gesehen, der vor ihm weglief. Haas konzentrierte sich so sehr auf ihn, dass er ohne nach rechts und links zu sehen über die Straße lief und den Wagen nicht kommen sah, der ihn dann anfuhr.“
„Und?“
„Gloria bezeichnete ihn als Momoverschnitt. An dem Abend wusste ich damit nichts anzufangen. Ich hatte den Hinweis nicht weiter beachtet. Doch jetzt ist mir klar, was sie damit meinte.“ Daniel zeigte auf das Bild. „Er hatte dunkle Locken wie Radost Bokel in dem Film.“
„Du glaubst, er …“ Leander schnappte nach Luft. „Noel Haas könnte noch leben?“
„Die Möglichkeit besteht.“
„Aber wie kann das sein? Er starb vor anderthalb Wochen bei dem Crash.“
„Die Leichen von ihm und seiner Mutter waren laut Polizeibericht stark verkohlt. Anlass für eine Obduktion gab es nicht. Schließlich wurde die Explosion des Fahrzeugs als Unglück deklariert.“ Daniel kraulte seinen Bart und sagte leise, mehr zu sich selbst: „Aber war er das wirklich?“
„Du willst doch wohl nicht andeuten … Du meinst doch nicht ernsthaft … Grundgütiger!“
„Die Gerichtsmedizin muss eine Autopsie an den Leichen vornehmen.“
„So neugierig ich auch bin, ich möchte nicht mit denen tauschen. Fast zwei Wochen alte Leichen.“ Leanders Adamsapfel hüpfte mehrfach, als er ein Würgen andeutete. Angewidert verzog er das Gesicht. „Ich bin allerdings nicht sicher, ob die Indizien ausreichen, um einen Richter davon zu überzeugen, die Exhumierung zwecks richterlicher Leichenschau anzuordnen.“
„Noel könnte noch leben! Das allein sollte Grund genug sein, alle Hebel in Bewegung zu setzen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich werde nicht eher ruhig schlafen können, bis wir Gewissheit haben.“ Daniel rang nach Atem. „Ich kenne eine Staatsanwältin. Lioba Zur.“
„Die Kleinwüchsige?“
„Ach, ist sie das? Ist mir gar nicht aufgefallen, als ich mich mit ihr traf, um einen Durchsuchungsbefehl für Engels Wohnung zu erwirken“, sagte Daniel mit ernster Miene.
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