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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gleichzeitig unschädlich machen können. Dabei wird uns niemand helfen, denn die Polizei traut sich nicht herein, und er kennt die Sicherheitsleute, er hat ihre Fotos. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben. Rashid, sieh dir im Internet die Aufnahmen an. Versuch herauszufinden, von wo aus sie aufnehmen.«
    Rashid nickte stumm.
    »Wenn ihr alle Kameras gefunden habt, muss jeder an seiner Stelle sein und auf meinen Befehl warten.«
    »Was wirst du mit ihm machen, wenn wir ihn haben, Vater?«, fragte Amal.
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Darf ich ihn töten?«
    »Wir werden ihn gemeinsam töten«, sagte Halil. Er beendete die Gespräche mit seiner Familie und kehrte zu dem Livestream von dem falschen Arzt zurück. Er fühlte sich sehr hilflos, und nicht einmal das große Springmesser in seiner Hosentasche machte, dass er sich stärker fühlte.
    Der Mann in dem blauen Kittel saß in einem dunklen Raum voller Rohre und Leitungen im Schneidersitz auf dem Boden und sprach weiter in sein Handy, als könnte er einfach nicht aufhören zu reden, weil ihm endlich jemand zuhörte. Der kleine Scheinwerfer der Handy kamera warf einen fahlen Schimmer auf sein blasses, unrasiertes Gesicht, aber viel mehr konnte man nicht sehen, nur manchmal, wenn er wackelte, etwas hinter ihm, das aussah wie der Körper eines liegenden Mannes. Der Mann redete eindringlich, doch diese Intensität stand im Widerspruch zu seinen Augen, die leer und erloschen wirkten, wie Sterne, die schon nicht mehr existierten, obwohl man ihr Licht noch sehen konnte.
    »Ich überlege die ganze Zeit, wie ich den Fehler wiedergutmachen kann«, sagte der Mann mit dem Handy leise. »Ich arbeite wirklich hart daran, aber ich brauche eure Hilfe, und ich höre nichts mehr von euch. Ich weiß, ich hätte ihn nicht töten dürfen, weil der Befehl noch nicht da war, und jetzt warte ich auf den Befehl und frage mich, ob er nicht kommt, weil ich diesen Fehler gemacht habe, und was ich tun soll, wenn er nicht kommt, gar nicht mehr. Ich schaue dauernd im Internet nach, ob ihr mir geschrieben habt oder ob etwas auf meiner Seite gepostet wurde. Ich kontrolliere die Akkus, die Stromversorgung. Es kann doch nicht sein, dass ihr alle schlaft, auf der ganzen Welt. Existiere ich denn nicht mehr?«
    Er kratzte sich unter der linken Achsel, am Hals, zwischen den Schulterblättern. »Ich bin jedenfalls bereit, hört ihr? Wenn der Anruf kommt, werde ich den Zünder drücken, und der Sprengstoff wird die Behälter zerstören, und das Gas und die Bakterien in der Klimaanlage freisetzen. Die Luftströme leiten sie dann in jede Station, zu den Säuglingen, zu den Kranken, in die Operationssäle und die Verwal tungsräume. Und jeder, der mit ihnen in Berührung kommt, muss sterben. Ihr könnt übrigens auch die anderen Aufnahmen jederzeit abrufen, ich verberge nichts, so schrecklich manches davon auch ist. Ich musste mich dazu überwinden, und ich habe es geschafft. Ich tue es für mich, für euch. Hier ist noch ein Status-Update von meinem letzten Rundgang vor einer Stunde.«
    Das Bild auf Halils Handy Display teilte sich, und auf der Hälfte, die nicht Saschas Gesicht einnahm, erschienen die fast leeren Klinikgänge. Über einen davon eilte Sascha in seinem blauen Arztkittel, jetzt allerdings mit Plastikhäubchen und Mundschutz, als wäre er gerade auf dem Weg zu einer Notoperation. Er schritt durch eine automatische Tür, auf deren anderer Seite ein junger Mann in einem grauen Jogging anzug saß und auf dem Menüfeld seines iPod herumtippte. Er blickte nicht auf, als der vermummte Mann mit dem Stethoskop um den Hals und dem unvermeidlichen Clipboard durch die Tür trat.
    »Allah!«, rief Halil halblaut aus. »Das ist Mahmoud, und er träumt!« Sofort tippte er Mahmouds Nummer in sein Handy, während Sascha sagte: »Die sieht man hier überall, seit so viele von denen im Wedding leben – kurdische, libanesische oder andere arabische Männer und Frauen, alle gehören zu irgendwelchen Familien, deren Kinder, Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten hier liegen, ihre Clans bevölkerten die Gänge und Vorzimmer, aber die kümmern sich nur um sich. Keiner von denen blickt noch auf, wenn jemand in einem Arztkittel vorbeigeht.« Er gab einen seltsamen Laut von sich, fast ein Kichern. »Ich bin der unsichtbare Mann. Außer für euch.«
    Mahmoud meldete sich, und Halil fauchte: »Er war da! Vor einer Stunde! Er ist an dir vorübergegangen, und du hast ihn nicht bemerkt.«
    »Ich weiß«, gestand

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