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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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die Druckluftflasche stand. Julian drückte einmal kurz auf den Abzug, um zu sehen, ob er funktionierte. Ella stellte fest, dass seine Hände nicht mehr zitterten. Erst war sie erleichtert, aber dann fragte sie sich, ob es wirklich ein gutes Zeichen war.
    Er setzte die Bohrspitze links oberhalb der Schädelverletzung an, beugte sich leicht vor und drückte auf den Abzug. Ein feines, dumpfer werdendes Sirren erklang, Knochenstaub wirbelte um das Bohr loch. Als der Bohrer durch war, stellte er sich automatisch ab. Die Hinterhauptsdecke war durchbrochen, die Spitze des Gewindes schwebte jetzt über der empfindlichen Membrane des Gehirns. Vorsichtig zog Julian den Bohrer wieder heraus und reichte ihn Ella. Aus den Rändern des Bohrlochs sickerte Blut. Ella hielt ihm ein Schälchen mit Knochenwachs hin, und er nahm etwas davon, rieb es zwischen den Fingern weich und strich es auf den Rand des Bohrlochs, um die Blutgefäße zu verschließen. Danach legte er noch zwei weitere Löcher an.
    Auf dem Grund der Löcher schimmerte die Hirnhaut. Normalerweise war sie weißgrau, aber jetzt hatte sich im Umfeld der Verletzung dunkel verfärbt. Julian schmierte auch die beiden neuen Löcher mit Knochenwachs ein. Er arbeitete ruhig und konzentriert, ohne Ella oder Fleming dabei anzusehen. Mit einer stumpfen Sonde löste er die schwach pulsierende Dura mater von der Knochenfläche, um einer Verletzung durch die Säge vorzubeugen, erst dicht bei den Bohrlöchern, dann die weiter entfernten Stellen.
    Danach schob er einen schmalen Metallstreifen, der wie eine gebogene Uhrfeder aussah, in das Loch links oben, um die Strecke zwi schen den Löchern zu untertunneln. Das abgerundete Ende der Feder tauchte durch das rechte obere Loch wieder ins Lampenlicht. Auf dem dunklen Metall glänzte etwas Blut, aber die Dura war unverletzt geblieben.
    »Säge!«
    Ella legte ihm das zusammengerollte Drahtblatt der Gigli-Säge in die ausgestreckte Hand. Er befestigte das eine Ende der Sägeschnur an dem dafür vorgesehenen Haken des Metallstreifens und zog ihn durch das erste Bohrloch wieder heraus, sodass sich der Sä gendraht nun in dem untertunnelten Schädelbereich befand. Danach hängte er an beiden Enden des Drahts kleine Griffe ein, in die nur zwei Finger passten. Mit kräftigen Zügen der rechten und der linken Hand sägte er den Knochen zwischen den beiden oberen Löchern durch. Er legte die Schnittfläche schräg nach außen, erst hier, später auch bei den Strecken zwischen den anderen Löchern, sodass sie dem herausgesägten Knochendreieck beim Wiedereinsetzen festen Halt bieten konnten. Dabei bewegte sich der in der Mayfield-Halterung eingeklemmte Schädel nicht einen Millimeterbruchteil; er vibrierte nicht einmal.
    Ella tupfte das Blut ab und bestrich auch die Sägeschnitte mit Knochenwachs. Es war ein seltsames Gefühl, Annikas Schädel so unter ihren Fingern zu spüren, ihr Gehirn sehen zu können, in dem ihr ganzes Leben, ihre ganze Welt steckte. Ich auch, dachte sie; ich bin auch da drin, alles, was wir miteinander geteilt haben. Aber in diesem Moment war Anni nur eine Patientin, nicht die beste Freundin, die gegen den Tod und vielleicht sogar gegen den Teufel kämpfte.
    Nachdem Julian das Knochendreieck zwischen den Löchern vom Rest des Craniums getrennt hatte, konnte er es abheben und so eine ausreichend große Öffnung für den Eingriff schaffen. »Häkchen und Messer!« Mit dem Durahäkchen in der linken Hand hob er die harte Hirnhaut an, um das Gehirn darunter beim anschließenden Schnitt mit dem Skalpell nicht noch mehr zu schädigen. Schnell und geschickt öffnete er die Dura mater über dem Verletzungsbereich, dann fixierte er die Hirnhautzipfel mit Haftfäden, um besser sehen zu können.
    Das blutig durchsetzte Kleinhirn drängte ihm entgegen. Der Herz monitor sandte weiter Pieptöne aus, der Herzschlagverstärker erfüllte den Raum mit seinem dunklen Pochen, der Blasebalg des Respirators blähte sich auf und sank wieder zusammen. Der gefährlichste Teil der Operation konnte beginnen.

6 5
    Shirin schlief. Sie lag in einem Zweibettzimmer in einem viel zu großen Bett, und das Nachtlicht über ihrem Kopf warf einen schwachen Schimmer auf den Verband, der immer noch eine Hälfte ihres kleinen Kopfes einhüllte. Ihr Gesicht hatte einen friedlichen, versonnenen Ausdruck. Sie wusste nicht, dass schon wieder jemand versuchte, sie zu töten.
    Halil Abou-Khan hatte die Tür einen Spaltbreit geöffnet, um nach den Kindern zu sehen. Auf

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