Null Bock auf Mr Cock (German Edition)
Kontaktanzeige aufzugeben.
Warum also nicht hier mein Glück versuchen, überlege ich, und in dieser Rubrik ein paar Zeilen aufsetzen. Es kostet ja nichts, also habe ich auch nichts zu verlieren.
Gesagt, getan. Kurze Zeit später schon schalte ich ein Kontaktgesuch bei „Dinkel und Amaranth“, meine Anzeige erscheint auch online. Nun gilt es Abwarten und Tee trinken.
Obwohl meine Annonce sehr kurz und knapp ausfällt, folgt prompt eine erste Antwort. Der Absender hat seine Mail als Mitteilung mit höchster Priorität, mit einem Ausrufezeichen versehen, versendet. Muss ja ein ganz wichtiger Mensch sein, denke ich spöttisch.
Aber es kommt noch besser. „muss-hier-weg“ nennt sich der Absender in seiner Adresse - was an sich schon recht aufschlussreich und aussagekräftig ist. Sollten mir diese wenigen Anhaltspunkte schon zu denken geben? Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Aber meine Neugier lässt mich Kontakt zu dem Herrn aufnehmen. Auf meine Frage, wohin er denn will und was seine Adresse zu bedeuten hat, lautet seine Antwort, nun quasi näher erläuternd: „ Will nur hier weg.“
Mit dieser Antwort wird bereits deutlich, dass dieser Zeitgenosse sich einen Rettungsanker und eine Fluchtmöglichkeit wünscht - und zwar in Form einer Frau.
Ortsgebunden sei er nicht, so erzählt er auch gleich, und „bei Bedarf“ könne er jederzeit zu mir umziehen. Ach ja, denke ich.
Weiter moniert Herr Wegläufer, dass meine Anzeige etwas dürftig und kurz ausgefallen sei – eine Kritik, die offensichtlich für ihn keine Gültigkeit zu besitzen scheint. Denn er selbst macht zu seiner Person keinerlei Angaben – er verrät weder sein Alter, sein Aussehen, seinen Beruf, noch Sonstiges. Stattdessen fährt er ganz geschäftlich fort, sagt klipp und klar, was ihm wichtig ist und was er über mich wissen will: mein Alter (was ich bereits in der Anzeige genannt habe), meinen Beruf, meinen Wohnort. Brav antworte ich und erteile ihm die gewünschten Auskünfte. Und werfe ihm nun meinerseits den Ball zu, indem ich ihm genau dieselben Fragen stelle. Seine Antworten bringen Erstaunliches zu Tage: Der Mann, der unbedingt meinen Beruf wissen will und der ihm seinen Worten nach sehr wichtig ist, arbeitet nicht, „im Moment nicht“, wie er schreibt - versteht sich. „Eine kreative Pause“ mache er sozusagen. Ohnehin sei er „eher der Künstlertyp“, wie er schreibt. Eines muss man ihm lassen: „Künstlertyp“ hört sich zugegebenermaßen viel besser an als „Faulpelz“. Denn was einen Künstlertyp ausmacht und welcher Art von Künsten er sich widmet, vermag er nicht zu erklären.
Immerhin lässt er sich einige interessante Dinge bezüglich seiner Person aus der Nase ziehen:
45 Lenze zählt er, er reist gerne, „aber nur wenn’s preislich stimmt, zum Beispiel nach Mallorca“ . Später fragt er mich noch zweimal nach meinem Alter, obwohl es bereits in der Anzeige steht, und ich es ihm außerdem nochmals genannt habe. Selbst meinen Namen und meinen Wohnort kann er sich nicht merken.
Hat der ein Gedächtnis wie ein Sieb, murre ich. Immer die gleichen Fragen stellen, nicht zuhören können, Antworten ignorieren oder sofort wieder vergessen und immer nur mit sich selbst beschäftigt sein: Sind dies Zeichen einer verfrühten Senilität – oder aber typisches Zeichen und Krankheit unserer Zeit? Vielleicht Signum eines ausgeprägten Egoismus? Holzauge, sei wachsam – so mahne ich mich selbst.
Immer wieder betont der Typ, dass er Tai Chi praktiziert und dies der Quell seines Glücks sei. Meine Vermutung geht eher dahin, dass er mit dem richtigen, dem eigentlichen Leben, nicht zurechtkommt und sein Heil nun beim Tai Chi sucht. Denn seine momentane Situation und auch seine Umgebung würden ihn unglücklich machen, klagt er: „Ich wohne momentan in den Bergen, in der Nähe des Bodensees. Doch diesen bedrohlichen Bergen will ich entfliehen, diese drücken auf mich und meine gesamte Stimmung. Das Eingeschlossene, immerzu von den hohen Bergen umgeben zu sein, das zermürbt. Eingeengt fühle ich mich, wie in einem Kessel. Oh wie ich mich nach dem flachen Land sehne! Oder besser noch: nach dem Meer. Wenigstens für ein paar Wochen im Jahr. Denn am Meer, dort ist der Mensch noch frei.“
Kein Wunder also, dass er sich „muss-hier-weg“ nennt. Nomen ist Omen.
Auch wenn er seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat und auch sonst nicht weiß, wohin sein Weg führen soll, eines weiß er doch und stellt es auch sofort
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