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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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hatte.
    «Ich bin an der Gabelung bei der Schneiderei», sagte sie mit bebender Stimme.
    «Ich bin gerade erst auf der D-Ebene angekommen»
, antwortete Marshall.
«Warten Sie dort, ich frage Gonzalez nach dem richtigen Weg.»
    Sie stand in der engen Dunkelheit der Schneiderei und rang nach Atem. Das war das Schlimmste von allem: nicht weiterrennenzu können, warten zu müssen auf weitere Instruktionen – und auf jenes unheimliche Gefühl in den Ohren und Stirnhöhlen, diese leise Bewegung, die das Herannahen des Albtraums signalisierte …
    «An der Gabelung links
»
, kam Marshalls Stimme in diesem Moment aus dem kleinen Lautsprecher des Funkgeräts.
«Bis zum Ende des Gangs, dann wieder links, bis Sie zu einer Treppe kommen. Die Treppe runter. Ich müsste dort sein und warten. Falls nicht, melden Sie sich über Funk.»
    Kari Ekberg schob das Funkgerät in die Tasche ihrer Jeans, wandte sich nach links und leuchtete kurz in den Gang, um eventuelle Hindernisse auszuspähen, bevor sie erneut lostrottete. Sie passierte den Küchenbereich mit seinen riesigen Keramikspülbecken und den großen Dampfgarbehältern und Öfen. Sie huschte an einem Dutzend Türen vorbei mit schwarzen, mysteriösen Räumen dahinter. Ihre Beine und Knie pochten schmerzhaft, doch sie verdrängte den Schmerz, so gut es ging. Weiter vorn, im schwachen Licht einer einzelnen Glühlampe, gabelte sich der Korridor erneut.
An der Gabelung links
, hatte er gesagt.
Dann wieder links, bis Sie zu einer Treppe kommen …
    In diesem Moment blieb sie mit dem Fuß an einem Hindernis hängen und schlug der Länge nach hin. Das Funkgerät segelte über den Boden, die Taschenlampe krachte gegen die Wand und erlosch.
O Gott, nein …
Sie kroch auf Händen und Füßen weiter und tastete nach der Taschenlampe. Ihre Hand schloss sich über dem metallenen Zylinder. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Lampe einschaltete. Sie flackerte, erlosch, flammte wieder auf und brannte.
Danke, Gott. Danke. Danke.
Sie mühte sich auf die Beine und leuchtete voraus, suchte ihr Funkgerät. Dort lag es, auf dem Boden,drei oder vier Meter vor ihr. Sie rannte hin, kniete, riss es an sich.
    «Hallo?», sagte sie und kämpfte mit dem Sendeknopf. «Hallo, Evan? Können Sie mich hören?»
    Nichts. Absolut nichts, nicht einmal ein statisches Rauschen antwortete ihr.
    «Evan, hallo!» Ihre Stimme überschlug sich, als Angst und Bestürzung in ihr aufkeimten. «Hallo …!»
    Plötzlich verstummte sie. Irgendetwas hatte ihren Instinkt zur Selbsterhaltung geweckt, volle Alarmstufe. War das das Tappen von Pfoten in der Dunkelheit hinter ihr, schwer und trotzdem unwahrscheinlich leise? War es das Blut, das in ihren Ohren rauschte, oder war es ein schwaches, eigenartiges, beinahe unirdisches
Singen
? Erneut wallte Panik in ihr hoch, und mit einem Schluchzen, das der Verzweiflung sehr nahe war, rammte sie das defekte Funkgerät in ihre Jeans und zwang sich zum Weiterrennen. Das Licht am Ende des Ganges winkte, und plötzlich war sie an der Gabelung, bog nach links, leuchtete wild nach vorn auf der Suche nach der Treppe.
    Dort war sie – ein schwarzer Schacht. Mit laut gegen das metallene Geländer klappernder Taschenlampe rannte sie die Stufen hinunter, ohne jeden Versuch, ihre Panik zu kontrollieren.
    Am unteren Absatz hielt sie inne und sah sich um. Vor ihr erstreckte sich ein weiterer schummriger Korridor, die Seitenwände vollgestapelt mit alten Schreibtischen und Schränken und Apparaten. Niemand war zu sehen.
    Sie blinzelte, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, blinzelte erneut. Nichts.
    «Evan?», rief sie leise in die Leere hinein.
    Keine Antwort. Sie spürte, wie ihr Atem flacher wurde.
Nein, nein, nein …
    Da war es erneut: das leise, singende Geräusch, kaum mehr als ein Flüstern in ihren Ohren. Leise wimmernd machte sie einen Schritt nach vorn, entfernte sich von der Treppe, trat in den Korridor hinaus. Sie spürte ein überwältigendes Bedürfnis, über die Schulter nach hinten zu sehen, die Treppe hinauf. Die Taschenlampe in ihrer Hand zuckte …
    «Kari!»
    Sie starrte den Korridor hinunter. Ganz am anderen Ende war eine Gestalt in Sicht gekommen, eine dunkle Silhouette im schwachen Licht. Mit einem Aufschrei rannte sie darauf zu. Als sie näher kam, erkannte sie Evan Marshall, der ihr mit besorgter Miene und einer automatischen Waffe über der Schulter entgegenkam.
    «Kari», sagte er, als sie bei ihm war. «Gott sei Dank. Sind Sie verletzt?»
    «Nein.

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