Nummer Drei: Thriller (German Edition)
bin zur Hälfte Britin und zur Hälfte Amerikanerin und lebte damals erst seit ein paar Jahren in England. Abgesehen von Carrie und Esme, die ich als Freundinnen betrachtete, hatte ich mich noch nicht richtig an das Leben hier gewöhnt. Im Gegensatz zu den versnobteren Mädchen standen die beiden auf amerikanische Serien und hielten deshalb auch große Stücke auf mich. Sie forderten mich oft auf, irgendetwas zu wiederholen, weil sie meinen Akzent mochten und neue Ausdrücke von mir lernen wollten. Aber von diesen Freundinnen abgesehen konnte ich nicht behaupten, sonderlich beliebt zu sein. Deshalb beobachtete ich oft die Sittiche und fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ich eine echte Britin wurde.
Eigentlich will ich aber auf Folgendes hinaus: Falls Sie zu den wenigen gehören, die schon einmal in Ham waren, dann wissen Sie, wie die Allmende aussieht und welche Häuser dort stehen, und dann ist Ihnen auch klar, dass mein Dad stinkreich ist. Er hat damals für eine Investmentbank gearbeitet. Genauer gesagt – er hat sie geleitet. Er ist Brite, während meine Mom – Sie haben es erraten – in Amerika geboren wurde. Kaum zu glauben, aber sie kam ursprünglich aus Arkansas. Allerdings ist sie mit achtzehn weggegangen, hat die Farm ihrer Eltern verlassen, wo sich horizontale Felder bis zum Horizont erstreckten, und sich in die vertikale Welt von New York gestürzt.
Sie und Dad haben sich kennengelernt, als er in Manhattan in der amerikanischen Filiale seiner Firma gearbeitet hat. Ich bin dort zur Schule gegangen, bis ich zwölf war. Dann hat Dad den Job in London bekommen, und wir sind umgezogen. Mom musste natürlich nicht arbeiten, aber sie hatte einen Job bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift, den sie mochte, und ließ sich nach unserem Umzug in das Londoner Büro versetzen. Es ist eine dieser Zeitschriften, die jeder kennt, sogar die Leute, die nichts von Wissenschaft verstehen.
Damit will ich sagen, dass es in meiner Welt nicht gerade alltäglich war, wenn man, noch dazu von der Direktorin persönlich, ein Hausverbot bekam.
Ich saß schon im 65 er auf der rechten Seite, als Esme und Carrie einstiegen. Deshalb bemerkten sie zuerst nicht, was mit mir los war. Esme war aufgeregt, weil ihre Eltern übers Wochenende wegfahren wollten. Sie ließ sich neben mir auf den Sitz fallen und plapperte drauflos, während Carrie sich erheblich vorsichtiger hinter uns niederließ. Um ehrlich zu sein – dies sollte Ihnen schon so ziemlich alles über meine beiden besten Freundinnen verraten, was man über sie wissen muss.
Wenn ich sie meine besten Freundinnen nenne, dann heißt das nicht, dass ich sie wirklich so liebte wie Seelengefährtinnen. Sie waren ganz in Ordnung und hassten mich eben nicht so sehr wie die meisten anderen.
»Sie sind volle zwei Tage weg, Amy«, schwärmte Esme. »Ein komplett leeres Haus. Achtundvierzig Stunden Party!« Sie sagte nicht einmal »Hallo!« oder so. Das lag ihr einfach nicht. »Das wird riesig«, fuhr sie fort.
»Aber dein rotznasiger Bruder ist doch da«, wandte Carrie ein.
»Ich weiß nicht, ich finde Jack heiß«, gab ich zu bedenken.
»Bäh«, stöhnte Esme. »Nun werd bloß nicht pervers und mach meinen Bruder an!«
Carrie schnitt eine angewiderte Grimasse und wollte noch etwas ergänzen, aber mir war klar, dass sie das Gesicht verzog, weil ich mich umgewandt und sie es gesehen hatte.
Carrie starrte mich an.
»O mein Gott!«, sagte sie. »Dein Gesicht.«
»Amy!«, kreischte Esme. »Die schmeißen dich raus. Das ist unfassbar.«
»Es ist komplett bescheuert«, bekräftigte Carrie.
Ich hatte Stecker in einer Augenbraue, in der Nase, in der Unterlippe, in den Ohren. An allen Piercings saßen kleine Dornen. Mir gefiel’s – ich wollte der Welt eine klare Kante zeigen.
»Die können mich nicht rauswerfen«, widersprach ich. »Es ist mein letzter Schultag.«
»Oh, richtig«, räumte Carrie ein. »Französisch hast du gar nicht belegt, oder?«
Französisch war die letzte Prüfung, und wer nicht geprüft wurde, hatte früher frei.
»Non«, antwortete ich.
»Du Glückspilz«, sagte sie. Dann betrachtete sie meine Stecker aus der Nähe. »Was hat dein Dad dazu gesag t ?«
»Nichts.«
»Wow. Dein Dad ist cool.«
Ich hob die Schultern. Er war keineswegs cool. Genau genommen mochte er die Piercings wahrscheinlich gar nicht, aber wenn er von der Arbeit nach Hause kam, achtete er kaum auf mich und hatte deshalb bisher noch nichts bemerkt. Aus diesem Grund hatte
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