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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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von neuem.

KAPITEL 2
    Es war noch dunkel draußen, als ich zu Fuß die unbebauten Grundstücke an der Pacific Street nahe der Flatbush Avenue erreichte, gut zehn Häuserblocks von meinem eigenen Haus entfernt. Das Viertel selbst mit seinen bunt zusammengewürfelten Sandsteinhäusern, kleinen Läden und Cafés stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert, doch das Randgebiet ringsum war von der Stadtverwaltung zum «Schandfleck im Stadtbild» erklärt worden, obwohl eine unermüdliche Opposition immer wieder versuchte, es als buntgemischtes, florierendes Viertel gegen die Abrissbirnen der Enteignungsverfechter zu verteidigen. Die Baulücke, vor der ich stand, war in der Woche zuvor noch nicht da gewesenund bewies nur zu offensichtlich, dass die Stadtverwaltung in diesem Streit die Oberhand behalten hatte. Neun Gebäude waren gleichzeitig abgerissen worden, und die so entstandene gewaltige Lücke weckte den Wunsch, sie einfach leer zu lassen, so wie es vor Jahrhunderten gewesen sein musste, bevor sich die Zivilisation mit dem Vorsatz breitgemacht hatte, die Natur zu bezwingen. Ich war selbst immer wieder erstaunt, wenn ich daran dachte, dass die Inseln von New York City früher einmal genauso unberührt gewesen waren wie meine Insel, Martha’s Vineyard, die auch erst nach endlosen Verwaltungskämpfen zum Naturschutzgebiet erklärt worden war.
    Nun stand ich in der Dunkelheit, wartete, die Arme um den Körper geschlungen, um mich etwas zu wärmen, und sehnte mich nach einem Kaffee. Eigentlich hatte ich mir irgendwo unterwegs einen holen wollen, aber die Cafés waren alle noch geschlossen. Ich war erschöpft, hatte dieses typische Gefühl der Übermüdung, bei dem man glaubt, jeden Moment zusammenzubrechen. Denn als Joe seine Anrufversuche endlich eingestellt hatte, war an Schlaf erst einmal nicht zu denken gewesen. Sechsmal hatte er angerufen, sechsmal alle zehn Klingeltöne ausgenutzt, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Dann hatte er endlich aufgegeben. Sechs Anrufe. Sechzigmal Telefonklingeln. Als mein Radiowecker sich um fünf Uhr morgens einschaltete, hatte ich höchstens zwei Stunden geschlafen.
    Der Widerhall rascher Schritte lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Flatbush Avenue, einer tagsüber stark befahrenen Straße, auf der es um diese Zeit jedoch ganz ruhig war. Nur hin und wieder kam ein Auto, oder ein Lastwagen rumpelte vorbei. Jetzt näherte sich ein hochgewachsener Mann mit Anzug und Krawatte. Er hatte einen schwarzen Rucksack dabei und einen leuchtend gelben Fahrradhelmauf dem Kopf, den er im Gehen abnahm. Hellblondes, schütteres Haar, eine randlose, rechteckige Brille. Seine Handfläche war feucht, als er mich begrüßte.
    «Alles, was Sie von mir hören werden, ist absolut vertraulich», begann er.
    «Aber wie soll ich Ihre Informationen dann verarbeiten?»
    «Ich firmiere als ‹anonymer Informant›. Unter der Bezeichnung können Sie sich auf mich berufen.»
    «Und wenn ich Kontakt zu Ihnen aufnehmen muss?»
    Er lächelte. Seine Zähne standen wie Soldaten in Reih und Glied und waren vom Teetrinken gelblich verfärbt. Seine Haut wirkte im schwindenden Mondlicht aus der Nähe fast durchsichtig.
    «Abe Starkman, Projektmanager bei der Baubehörde. Aber das ist ausschließlich für Ihre Ohren bestimmt.»
    «Gut. Ich behandele Ihre Informationen vertraulich. Also, warum bin ich hier?»
    «Kommen Sie mit.»
    Er führte mich ein Stück weiter, bis zu dem leeren Bauland, wo früher die Chemiefabrik gewesen war. Die Grenzen der einzelnen Grundstücke waren mit Sprühfarbe orange markiert worden. Am Eingang des Fabrikgrundstücks, auf das ich angesetzt war, entdeckte ich ein blaues   X.
    «Was ist denn das?», fragte ich.
    «Alle Arbeiten wurden eingestellt.»
    «Nur hier?»
    «Ja. Nur auf diesem Grundstück.»
    «Und seit wann?»
    «Seit gestern.»
    Im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Lastwagens sah ich, dass sich trotz der Kälte Schweißperlen auf Abe Starkmans Stirn gebildet hatten. Er zog ein Taschentuch ausder Hosentasche, um sie abzuwischen. Bevor er weitersprach, warf er einen Blick auf das Grundstück und das blaue X, wie um sich seinen Entschluss, mit mir zu reden, noch einmal in Erinnerung zu rufen.
    «Im Lauf des Tages wird Sie jemand von der Baubehörde anrufen.»
    «Um mir zu sagen, dass ein Antrag auf Arbeitseinstellung eingereicht wurde?»
    «Genau. Und der Betreffende wird Ihnen auch sagen, warum.»
    Ich zog einen kleinen Notizblock samt Stift aus meiner Tasche und schlug ihn

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