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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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Ich habe sie rekrutiert, alles Arbeitslose, Freunde, Bekannte, Freunde von Bekannten, sie nahmen das Arbeitslosengeld und das Geld von mir, alles ohne Rechnung. Ich habe sie vermittelt und der Leihfirma Rechnungen geschrieben jeden Monat. Offiziell habe ich sieben Mal so viele Stunden gearbeitet wie ein Monat Stunden hat, ich habe das Geld genommen und behalten, ich habe die Leute bezahlt und mein Koloniehäuschen renoviert.
    Onni trank und redete. Schnell und viel, ohne Pause.
    Ich habe den Boden um einen halben Meter gesenkt, die Raumhöhe lässt jetzt eine kleine Galerie zu, dort ist mein Bett, und ich habe einen Lift eingebaut, für später, wenn die Beine nicht mehr funktionieren, es ist schön geworden. Doch irgendwann kam der Brief. Dass sie kommen und ich alles offenlegen muss. Da bin ich weg. Ich habe das Nötigste mitgenommen und bin weg. Zuerst Hamburg, dann München, jetzt Frankfurt.
    Ich habe nur etwas abgeholt hier. Geschäftlich. Jetzt geht es zurück nach Frankfurt.
    Wo musst du hin, fragte er.
    Auch Frankfurt, sagte Mosca.
    Onni wackelte mit seinem Bein und erzählte.
    Es schoss heraus aus ihm, er redete immer noch schneller, mit Freude, seine Augen strahlten. Sie waren groß und weit. Mosca hörte einfach nur zu. Er war angezogen von diesem Mann, seine sorglose Art, wie er über intimste Dinge sprach, über Dinge, von denen ein anderer schweigen würde, er breitete sein Leben vor ihm aus, ohne Zögern.
    Ich vertraue dir, hat er gesagt und Mosca das mit der Inkontinenz erzählt, dass er sich wickeln muss, dass er den Harn nicht halten kann, dass man nichts dagegen machen kann, dass er nicht versteht, warum ihm das passiert, dass er sich danach sehnt, Anzüge zu tragen und nicht diese ausgebeulten Hosen, dass er gehört hat, dass sie mit Stammzellen experimentieren. Sie schießen sie mit einem Gerät unter die Haut, dorthin, wo das Muskelgewebe ist, wo der neue Muskel wachsen soll. Er erzählte, dass bereits erste Versuche gelungen sind, aber dass keine Krankenkasse der Welt das bezahlt, dass er weiter in seine Windeln pissen werde, weil da kein Geld mehr ist, dass alles weg ist, dass es in seinem Haus, im Fußboden, in dem Lift für das Alter ist. Onni stand auf und ging zur Toilette.
    Er griff sich auf den Hintern und sagte etwas Dänisches. Mosca bestellte noch zwei Bier.
    Die Vorstellung, harninkontinent zu sein, war beängstigend für ihn. Die Vorstellung, Harn klebt auf seiner Haut, und es riecht, egal wo er ist, sie machte ihm Angst. Dieser ungepflegte Geruch, gegen den man nichts tun kann. Mosca war verwundert, dass er sich nicht ekelte. Normalerweise hätte allein die Vorstellung, dass der Mann neben ihm im eigenen Urin saß, ausgereicht, um das Café auf dem schnellsten Weg zu verlassen oder zumindest einen anderen Tisch zu wählen. Er blieb aber sitzen. Dieser Däne hatte es ihm angetan, er gefiel ihm. Er mochte es, wie er war, diese Direktheit, wie er sie auch bei Jo geliebt hatte, dieses Vertrauen, ausgelöst nur durch Blicke. Er fühlte sich auf unerklärliche Weise verbunden mit Onni, mit dieser hageren, unglücklichen Gestalt. Er würde mit ihm in diesem Café sitzen bleiben und dann mit ihm nach Frankfurt fliegen.
    Kurz stellte er sich vor, wie es wäre, mit ihm nackt zu sein.
    Er fragte sich, wie sein Körper aussah, wie seine Zunge schmeckte, wie sein Schwanz war, ob er zärtlich war. Dann fiel ihm Jo ein, wie er ihn stundenlang massiert hatte mit seinen blauen Fingern. Dann fiel ihm das mit der Inkontinenz wieder ein. Dann ekelte er sich kurz.
    Dann kam Onni von der Toilette zurück.
    Was machst du beruflich, fragte er.
    Mosca erzählte von seinen Büchern, von seinen Kritiken, und er zeigte ihm das kleine Foto in seiner Geldtasche.
    Eine zusammengefaltete Postkarte aus der Klein-Ausstellung. Der Sprung in die Leere.
    Sie hatten bereits vier Biere zusammen getrunken, die Stewardess brachte ihnen noch zwei weitere. Sie würden vierzig Minuten in der Luft sein, draußen war es bereits dunkel.
    Dieses Bild liebe ich, sagte Mosca.
    Sie waren siebentausend Meter über Ingolstadt, sie lehnten nebeneinander in ihren Sitzen.
    Onni hatte die Postkarte in seiner Hand.
    Selbstmord ist keine Lösung, sagte er.
    Mosca drehte sich zu ihm, sein Gesicht war erstaunt.
    Das hat doch mit Selbstmord nichts zu tun, wie kommst du auf diesen Gedanken, er springt nach oben, in den Himmel hinein, ins Blau, er bringt sich doch nicht um.
    Was für ein Unsinn, lachte Onni. Der Mann hier platzt gleich auf dem

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