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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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hassen, ist sie weg. Unzählige Löcher später.
    Sie ist von der Arbeit nicht mehr nach Hause gekommen, sie hat alles an seinem Platz gelassen, die Kleider, die wenigen Möbel, die sie besaß, alles. Nur ihren Reisepass nahm sie mit und eine kleine Tasche mit dem Nötigsten. Sie hatte sie am Vorabend gepackt und draußen in einem Busch versteckt. Sie ist zur Tür, hat sich nicht umgedreht, hat mit letzter Kraft den Türgriff nach unten gedrückt und ist gegangen. Sie wollte weg. Weit weg.
    Sie zitterte, als sie die Stufen hinunterging, sie hörte hin, ob er ihr nachging, ob er gemerkt hatte, was sie plante, ob er die Tür aufriss und ihr nachrannte, sie niederschlug und zurück in die Wohnung zog. Sie hatte Angst.
    Unendliche Angst in ihren zitternden Fingern, als sie das Radschloss aufsperrte und ihre Tasche aus dem Busch nahm. Er würde sie töten, wenn er sie sah, wenn er wüsste, was sie tat. Er würde sie kaputtmachen. Für immer. Die Angst tat weh. Sie brannte überall auf ihrer Haut. So oft schon war sie wieder zurück in die Wohnung. So oft schon hatte sie ihre Tasche wieder ausgepackt. So oft hatte sie sich wieder neben ihn gelegt und davon geträumt, ihn zu töten. Ihm seine Arme abzuschneiden, seine Beine. Und auch sonst alles.
    Doch sie ging nicht zurück an diesem Tag. Sie ging aus der Stadt, aus seiner Wohnung, aus seinem Leben. Weit weg von ihm.
    Das war vor einem Jahr.
    Sie ging nach Frankfurt und nahm sich ein Zimmer.
    Das billigste in Frankfurt. Geld hatte sie nicht.
    Sie stand auf der Straße und erinnerte sich, wie sie hier angekommen war. Sie hat ihn nicht wiedergesehen, er hat sie nicht gefunden. Sie begann zu zeichnen und ihn Stück für Stück zu zerschneiden, ihn langsam aus sich herauszuschneiden. Die Angst vor ihm, die Liebe zu ihm. Sie hat sich freigezeichnet. Mit jedem Bild ein Stück weiter weg von ihm.
    Es war kurz nach zehn. Gestern.
    Sie hat das Bild an die Wand geklebt und ist nach draußen.
    Sie ging zur Busstation. Die Clubbingkirche war nur vier Stationen entfernt. Sie würde jetzt Ben treffen. Sie war sich immer noch nicht sicher. Aber sie ging hin. Irgendwie erinnerte sie Ben an Ludwig. Seine fettigen Haare vielleicht. Sie würde ihn kurz sehen und dann zurück in ihr Zimmer gehen, sie würde sich auf nichts einlassen, sie würde ihm sagen, dass es vorbei war, dass sie alleine sein wollte, dass sie keinen Mann brauchte, dass er sie nie wieder anrufen sollte. Sie war sich plötzlich ganz sicher.
    Dann stieg sie in den Bus.
    Olivier und Herta verließen München.
    Mosca saß mit Onni in Mings Auto.
    Ben war auf der Autobahn.
    Das war gestern kurz nach zehn.

16.
    Ming beobachtete die Männer auf dem Rücksitz.
    Die beiden waren so verschieden. Der eine eine Gazelle, der andere ein Frosch, eine hässliche, hagere Kröte. Aber sie saßen nebeneinander. Die Kröte hatte ihren Kopf an die Schulter der Gazelle gelehnt.
    Danke, Mosca, sagte sie. Wieder und wieder.
    Lass es gut sein, sagte die Gazelle.
    Ming sah den Scheck in Onnis Hand. Er würde bald ihr gehören, sie würde sich dieses Geld holen, koste es, was es wolle. Sie würde aufhören, für den Türken zu arbeiten, sie würde sich Europa ansehen, sie würde verreisen.
    In dieser Nacht noch. Ming wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, aber ihr Plan war besiegelt. So etwas konnte kein Zufall sein. Sie hatten sie beinahe darum gebeten, bestohlen zu werden. Der eine trug das Geld wie eine goldene Laterne vor sich her und dem anderen schien es nicht zu fehlen.
    Ming fuhr über die Autobahn. Sie redete nicht, schaute nur ab und zu in den Rückspiegel. In zwanzig Minuten würde sie hinter dem Tresen stehen und Würste verkaufen, wie jeden Abend. Sie würde in ihre weiße Schürze kriechen und fettige Würste auf Kartonteller legen. Ali würde ihr auf den Arsch starren und sie antreiben, wie jeden Abend.
    Ali war der Sohn des alten Türken. Mit ihm war sie ins Bett gegangen, durch ihn hatte sie den Job bekommen.
    Such dir eine Türkin, sagte sein Vater, aber Ali wollte sich seine eigene Welt machen.
    Wir leben in Deutschland, Vater, das ist nicht die Türkei.
    Ali eröffnete den Stand vor der Kirche, er wollte nicht mehr in der Nähe seines Vaters sein, er wollte sein eigenes Leben haben. Und das mit Ming.
    Sie gefiel ihm. Sie war hart genug für sein türkisches Deutschland. Ming kam vier Mal in der Woche nach der Arbeit am Flughafen zu ihm. Du kannst auch wohnen bei mir, Ming. Aber das wollte sie nicht. Sie schlief mit ihm und

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