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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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der Hund so laut gebellt, dass Anna stehen blieb, sich umdrehte und den Nachbarn am Boden liegen sah. Der Hund um ihn herum, aufgeregt, laut bellend, hysterisch fast. Ludwig hatte es auch gehört, im Rückspiegel hat er den Körper auf der Straße gesehen und Anna mit dem Hund. Er hat überlegt und ist rückwärts gefahren. Er würde heute später in den Sender kommen. Ein Mann lag auf der Straße, er musste ihm helfen. Der Hund bellte, als Ludwig den Nachbarn berühren wollte, um zu sehen, ob er noch atmete. Beinahe hätte der Hund ihn gebissen. Wenn nicht Anna ihn beruhigt und ihn in den Arm genommen hätte. Sie hat auf ihn eingeredet, so lange mit ihm gesprochen, bis er ruhig war. Direkt in sein Ohr hinein. Sie spürte das Fell in ihrem Gesicht, sie fuhr mit ihren Fingern quer über seinen traurigen Körper. Daneben versuchte der fremde Mann mit den kurzen Haaren, dem Toten Mann auf der Straße zu helfen. Vergeblich. Ludwig zerrte an ihm, schrie auf ihn ein, schüttelte ihn. Aber er rührte sich nicht mehr.
    Der Hund winselte nur noch. Anna hielt ihn fest unter ihrem Arm. Sein Kopf blieb irgendwann ruhig in ihrer Achsel liegen. Er rührte sich nicht mehr, spürte nur noch Annas Hand in seinem Fell. Zwischendurch winselte er, wollte sich losreißen, aber Anna hielt ihn fest, drückte sich an ihn, flüsterte in ihn hinein.
    Bleib ruhig, ich bin jetzt für dich da, alles wird gut. Der Hund hieß Ron. Ron ist ein Jahr später unter einem Auto gestorben. Anna sagte, er wollte dorthin, wo sein Herrchen war. Öfters war er plötzlich auf die Straße gesprungen und nur knapp konnten erschrockene Autofahrer ihm ausweichen.
    Er will sich umbringen, hat Anna immer gesagt, er will tatsächlich Selbstmord begehen, Ludwig, er will zu seinem Herrchen. Er ist nicht glücklich.
    Unsinn, sagte Ludwig. Das ist ein Hund, Anna. Gib ihm zu fressen und er ist glücklich.
    Doch Anna war überzeugt. Rons Unfall war kein Unfall. Er setzte sich an den Straßenrand, er wartete an der leeren Straße, bis der Müllwagen kam. Dann sprang er mitten auf die Fahrbahn. Dann war er auch tot.
    Anna hatte alles aus der Ferne beobachtet. Sie konnte nichts mehr tun, ihre Beine waren zu langsam. Sie hat Ron zurück zum Haus getragen und ihn im Vorgarten begraben.
    Das kannst du nicht machen, hat Ludwig gesagt.
    Natürlich kann ich, hat Anna gesagt und die Schaufel traurig in die Erde gestochen.
    Das war ein Jahr, nachdem sie sich kennen gelernt hatten. Nachdem der Krankenwagen den Nachbarn damals von der Straße gebracht hatte, ist sie mit Ludwig in ein Café.
    Lass uns frühstücken, hat sie gesagt, und er ist einfach mitgegangen, hat zum ersten Mal in seiner Radiokarriere die Morgensendung nicht moderiert. Er hat nicht einmal angerufen beim Sender. Das Bild des toten Mannes in seinem Arm blockierte ihn, sein Leben war durcheinander geraten an diesem Morgen. Auch Anna hat nicht angerufen in der Konditorei. Sie sind in ein Frühstückscafé, an dem Ludwig jeden Morgen vorbeifuhr. Anna kettete ihr Rad an eine Laterne und stieg in Ludwigs Auto. Vier Stunden sind sie in dem Café gesessen, dann sind sie zu Ludwig nach Hause. Es war alles sehr verrückt an diesem Morgen. Zuerst der tote Nachbar, die Arbeit, auf die sie beide verzichteten, und dann Ludwigs Bett, in das sie sich beide verkrochen.
    Sie hatten sich sofort gemocht, nach einer Stunde schon hatten sie sich die Hände gehalten. Sie brauchten sich an diesem Morgen, sie brauchten die Nähe des anderen, sie wollten beide nicht allein sein an diesem Tag.
    Und auch die nächsten zwei Jahre nicht. Sie haben sich berührt und nicht mehr losgelassen. Es war wie eine Sommerliebe, die nicht aufhört. Es gab keinen Herbst mehr und keinen Winter.
    Bis das mit dem Schluckauf begann.
    Ab da kam der Sommer nie wieder.
    Es hat einfach angefangen und nicht mehr aufgehört. Er bekam Schluckauf. Und wurde ihn nicht mehr los. Als Anna eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, hatte er ihn. Er stand im Wohnzimmer, vornübergebeugt mit einem Glas Wasser in der Hand, das er von hinten zwischen seinen Beinen durchstreckte, es an seinen Mund führte und trank.
    Anna musste lachen. Was machst du.
    Ich habe Schluckauf, sagte er und verrenkte sich weiter. Wenn man Wasser auf dem Kopf stehend zu sich nimmt, geht er weg, das habe ich in einer Zeitschrift gesehen.
    Aber er ging nicht weg. Anna schaute ihm zu, wie er alles Mögliche versuchte, wie er sich auf den Kopf stellte, an die Wand gelehnt, sein Kopf auf einem Kissen, wie

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