Nur Blau - Roman
er versuchte, das Wasser in seinen Mund zu leeren, wie es seinen Lippen entlang hinunter über die Nase in seine Haare hineinrann.
Wie lange hast du ihn schon, fragte Anna.
Seit drei Stunden, sagte Ludwig.
Es hat während der Sendung angefangen und es hört nicht auf. Das ist nicht normal, Anna, das ist absolut nicht normal, das war noch nie so. Anna stand in der Tür und beobachtete das Schauspiel. Ludwig kopfstehend mit einem Glas Wasser an seinen Lippen, und alle fünfzehn Sekunden dieser Ton aus seinem Mund. Wenn es beim Ausatmen passierte, war es fast lautlos, nur ein kleines Schütteln ging durch seinen Körper. Beim Einatmen aber war es wie ein Erdbeben, das durch ihn hindurchging. Ludwigs Schluckauf war immer schon Grund für großes Staunen gewesen.
Ludwig stand Kopf. Anna ging zu ihm hin und streichelte ihm über seine Beine. Das wird schon wieder, Ludwig. Konzentrier dich auf etwas anderes, denk einfach nicht mehr daran. Ludwig stöhnte.
Wie soll ich das machen, Anna, und während er Anna sagte, bebte sein Körper erneut. Das ist nicht normal, Anna, so lange hatte ich das noch nie, Anna.
Am Abend hatte er ihn immer noch. Am nächsten Morgen auch. Er fuhr zum Sender und betete, dass es aufhörte. Er probte seine Ansage und fluchte, weil es ihm nicht gelang, eine Moderation ohne Beben zu Ende zu sprechen. Er rief Anna an. Sie stand über ihrem Gebäck und hörte ihren verzweifelten Ludwig, sie spürte seine Angst und die Wut und die aufsteigende Verzweiflung. Wie soll ich arbeiten, Anna, wie soll ich diese Sendung moderieren, Anna, ich kann keine halbe Minute ohne Unterbrechung sprechen, es hört nicht auf, Anna. Es hört nicht auf.
Anna versuchte ihn zu beruhigen, sie redete auf ihn ein, machte ihm Mut, versuchte ihm die Angst zu nehmen. Aber vergeblich. Ludwig verließ den Sender nach einer Stunde und kam nicht mehr zurück. Er brach die Sendung nach vierzig Minuten ab, eine Kollegin übernahm die Moderation. Für immer.
Ludwigs Morgensendung wurde gestrichen. Nach dreimonatigem Wohlwollen seitens des Senders wurde Ludwig gekündigt. Es tut uns Leid, Ludwig.
Er saß da, es schüttelte ihn ununterbrochen, er war unrasiert, seine Haare waren fettig, er roch aus dem Mund, er war jetzt arbeitslos, er konnte nicht mehr schlafen, er ertrug das Leben nicht mehr.
Er lag wach neben Anna und schaute sie an, wie schön sie war, wie makellos, wie wunderbar nackt sie schlief. Ludwig veränderte sich. Anna konnte nichts dagegen tun. Der Schluckauf machte einen anderen Menschen aus ihm. Er brachte den Winter, für immer.
Anna wollte bei ihm bleiben, Anna wollte ihm helfen, Anna tat alles, was sie konnte. Aber Ludwig wandte sich von ihr ab. Er begann, sie unerträglich zu finden, er begann, sie zu hassen, weil ihr Leben funktionierte, weil sie ihm zeigte, wie kaputt er war. Er redete nicht mehr mit ihr. Er ignorierte sie. Er begann sie mit kleinen Bosheiten zu verletzen. Er verkam neben ihr. Er war dreckig und ekelhaft, er kultivierte seine Krankheit, er tobte in Selbstmitleid. Er hörte auf, sich zu lieben.
Er lag nur noch herum und hörte zu, wie das widerliche Geräusch aus seinem Mund kam. Alle dreißig Sekunden. Er verließ das Haus nicht mehr, traf keine Freunde, sprach mit niemandem mehr.
Das war vor zweieinhalb Jahren.
Und dann begann er, Anna zu schlagen.
Zuerst Schläge ins Gesicht, dann auf ihren Leib. Doch er war nicht zufrieden, er wollte sie entstellen, er wollte ihr perfektes Leben kaputt machen, er wollte, dass sie litt, damit sie sein Leiden verstand. Er begann sie zu verbrennen. Er drückte Zigaretten in ihre Haut und machte Löcher in sie hinein. Kleine Löcher für immer. Er quälte sie. Er misshandelte sie. Doch sie blieb. Er machte sie kaputt. Weil er kaputt war.
Es überraschte ihn, wie lange Anna es ertrug, wie geduldig sie alles hinnahm, wie liebevoll sie trotz allem noch war, wie lange es dauerte, bis ihre Wut Formen annahm und die Angst vor seinen Verletzungen verdrängte. Wie lange es dauerte. Bis sie die Kraft fand zu gehen. Sie hat Ludwig über eineinhalb Jahre ertragen. Seinen Schluckauf. Den Geruch in seinen Achseln.
Seinen Schwanz in sich, obwohl sie ihn nicht wollte.
Seine Hände um ihren Hals. Seine Zigaretten in ihrer Haut. Sie ist immer wieder zurück zu ihm, sie hat immer wieder gehofft, dass er aufhörte, dass der Sommer wieder kam. Aber er kam nicht.
Erst als sie kaum noch atmen konnte, als der Schmerz so groß war, als sie längst begonnen hatte, sich selbst zu
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