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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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auf denen zwei Menschen mit Kopfhörern standen, zweitausend Menschen schauten in ihre Richtung und bewegten sich. Zuerst langsam, dann immer schneller, ein schraubendes Geräusch schoss durch den riesigen Raum und trieb die vielen Puppen wie Aufziehmännchen an. Schweiß. Lärm. Sie begannen, ihre Arme nach oben zu reißen und zu schreien, sie hüpften auf und nieder, ihre Münder waren weit aufgerissen. Sie tanzten. Sie gaben irgendwelche Laute von sich, die man nicht mehr hören konnte. Man sah nur die offenen Münder, Schweiß auf unendlich viel Haut, Puppen, die durch den Raum flogen. Leere Wasserflaschen überall auf dem Boden. Mosca stolperte beinahe. Er ging nach vorn, suchte den Weg zur Toilette, er schaute sich die Menschen an. Er spürte das Stechen in seiner Brust. Es wurde immer lauter. Er hatte diese Herzrhythmusstörungen. Immer schon. Er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, aber jetzt war es wieder da neben den schreienden Puppen, den tausenden Händen, die durch die Luft flogen, neben der Musik, der er sich nicht entziehen konnte, weil sie bebte unter ihm. Er spürte das Hämmern in seinen Beinen. Überall in sich. Es war laut. Es ging durch ihn hindurch, es war im ganzen Raum verteilt, jeder Winkel voll von diesem Lärm, von elektronischen Geräuschen, die sich aufdringlich an ihn klebten. Unter seiner Haut pochte sein Herz. Mosca war verwirrt. Was er sah und hörte, was er spürte in seiner Brust, wie sein Tag gewesen war, was alles passiert war, wie er hierhergekommen war, wie das Stechen in seinem Brustkorb immer größer wurde.
    Er ging der Wand entlang nach vorne.
    Er schlängelte sich durch die tobenden Menschen, berührte unfreiwillig nackte Haut. Es war heiß. Er schwitzte, aber er wollte sich nicht ausziehen, er wollte sein Hemd nicht öffnen. Er wollte das nicht. Er wollte hinaus, zurück auf die Straße. Er wollte weg von dieser Musik, er wollte zurück in seine Wohnung, er wollte die Kontrolle wieder über sein Leben. Er spürte, wie es ihm entglitt, er spürte sein Herz. Er spürte die Wand neben sich, an der er sich entlang zog, er berührte sie, hielt sich fest an ihr. Er wollte umdrehen, zurück zum Ausgang, er wollte hinaus auf die Straße, aber überall diese Menschen, er kam kaum vorwärts. Er drängte sich an verzerrten Gesichtern vorbei, er wehrte die herumfliegenden Arme ab, die ihn beinahe erschlugen. Er konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen. Sein Herz raste. Er stand still. Dann ging er in die Knie und blieb an die Wand gelehnt bewusstlos liegen.
    Die Musik umspülte ihn. Sie war unter ihm am Boden, an der Wand, in der Luft, die er einatmete, an seiner Haut. Sie war laut. Moscas Kopf lag seitlich auf seinem Nacken, nach hinten an die Wand gelehnt. Sein Mund war offen, seine Beine gekrümmt, ineinander verwoben. Er rührte sich nicht mehr.
    Um ihn herum tanzten sie.
    Eine leere Wasserflasche flog durch die Luft und blieb neben ihm liegen.
    Das war um elf.

18.
    Ben schaute auf die Uhr.
    Er war an der Raststation abgefahren und hatte sich zwischen den LKWs versteckt. Er hatte diesen Traum gehabt, aus dem er hysterisch erwacht war. Das Hupen des LKWs hinter ihm hatte ihn gerettet. Er war dem Tod entronnen. Das zweite Mal an diesem Tag. Er hatte überlebt. Er war aus dem Auto gesprungen, hatte langsam begriffen, was passiert war, und war hinaufgeklettert auf den LKW , er hatte den Kopf durch die Scheibe gesteckt und dem Fahrer hysterisch die Hand geschüttelt. Er hielt sie mit seinen beiden Händen fest.
    Ich danke Ihnen, Sie haben mir das Leben gerettet.
    Dann ging er zurück in sein Auto und parkte aus.
    Der LKW -Fahrer schüttelte ununterbrochen den Kopf und fluchte laut. Ben stieg wieder ein und schaute auf die Uhr. Es war acht Uhr zehn.
    Es waren noch fast zwei Stunden bis Frankfurt. Anna fiel ihm ein. Er würde zu spät kommen. Sie würde nicht warten auf ihn. Er war nass. Er musste sich beeilen. Seine Kleider klebten auf der Haut. Er schaute in den Rückspiegel und griff sich an die Stirn. Er suchte das Loch, das da noch vor wenigen Minuten gewesen war. Er strich sich mit den Fingern über die glatte Haut. Er atmete aus und wieder ein. Langsam. Er hatte nur geträumt. Es gab keine Chinesen in seinem Leben. Keine Elefanten und keine Silberlöffel, die ihn erschlugen. Er hatte nur geträumt. Einen dieser Pillenträume.
    Wenn er jetzt losfuhr, würde er es rechtzeitig schaffen. Er wischte sich seine nassen Haare zurecht und fuhr los. Er steckte sich eine Pille in den

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