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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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Haare, die ganze Haut auf ihr. Aber innen brannte sie. Etwas tat weh. Sie wollte schreien und konnte nicht. Sie wollte einschlagen auf ihn und konnte nicht. Sie wollte weinen und konnte nicht.
    Sie nahm das Bild und hielt es vor sich hoch. Der Bleistift lag am Boden. Vor ihr das Bild, das Gesicht, das sie so gut kannte. Überall war es. Überall waren diese traurigen Augen, diese wütenden Blicke. Auch ein bisschen Hass. Auf jedem Bild. Sie nahm es und drückte es an die Wand. Mit Klebestreifen machte sie es fest. Dann zog sie ihre Schuhe an und ging aus dem Haus.
    Es war ein hässliches Haus. Sie war hier eingezogen nach ihrer Flucht. Es war die billigste Wohnung in Frankfurt. Geld hatte sie nicht. Sie wollte weg, weit weg von diesem Mann, aus der Stadt, in der er war, aus dem Bett, in dem er war, weg aus seiner Umarmung. Weg von ihm. Weit weg. Eine neue Stadt, in der er sie nicht finden konnte, in der sie ohne ihn war, ohne seinen Schluckauf. Und alles, was der Schluckauf mit ihm machte.
    Er hieß Ludwig. Er war Radiosprecher und sie Zuckerbäckerin. Er moderierte die Morgensendung und sie machte Kuchen. Manchmal hörte sie seine Sendung. Mehl war auf ihren Händen und aus dem Radio kam seine Stimme. Um fünf Uhr morgens. Nur manchmal hörte sie ihn. Beide hatten ihr Leben und nichts miteinander zu tun. Gar nichts. Das einzige, das sie beide taten, war früh aufstehen. Und sie wohnten in derselben Straße. Er stieg in sein Auto und fuhr zum Sender, sie stieg auf ihr Fahrrad und fuhr zur Konditorei. Sie hielt nichts vom Radiohören, sie duldete das Geschwätz am Morgen, weil ein Kollege das Radio anmachte. Sie war in Gedanken und knetete Marzipan. Er faselte irgendetwas Unwichtiges.
    Über ein Jahr fuhren sie morgens aneinander vorbei. Ihr Wecker klingelte exakt zur selben Zeit wie seiner. Während er schon im Bad war, schälte sie sich erst aus dem Bett, während er frühstückte, stand sie vor dem Spiegel und putzte langsam ihre weißen Zähne. Sie frühstückte in der Konditorei. Die Minuten nach dem Läuten des Weckers waren ihr Gold wert. Sie drehte sich um im Bett, schlug auf den Alarmknopf und zog die Decke über den Kopf. Er sprang aus dem Bett direkt in die Dusche, unter kaltes Wasser.
    Sonst wache ich nicht auf, sagte er.
    Meistens war es vier Uhr neunundzwanzig, als er auf die Straße kam. Der Nachbar, der jeden Tag um diese Zeit mit seinem Hund die Straße entlangging, sah zuerst ihn, wie er in sein Auto stieg, und kurze Zeit später sie, wie sie ihr Fahrrad von der Laterne kettete und an ihm vorbeifuhr. Manchmal bellte der Hund. Ludwig drehte sich um, Anna erschrak. Der Nachbar beruhigte den Hund. Ludwig fuhr davon. Anna winkte dem Nachbarn zu. Der Hund zerrte an der Leine, weil er hinter dem Fahrrad herwollte. Dann war es wieder still in der Straße. Nur der Hund und der Nachbar.
    Ludwig war im Sender und Anna in der Konditorei. Danach noch der Rest vom Tag und schlafen am frühen Abend. Er hatte keine Frau und sie keinen Mann, ein paar Freunde ab und zu und ein wenig Sport für den Ausgleich. Ich muss morgen früh raus, haben sie beide gesagt, und dann war Nacht. Sieben Häuser waren zwischen ihnen.
    Sie wohnte im Haus ihrer Großmutter. Er hatte sich verschuldet und einen Dachboden gekauft, ihn umgebaut und teuer eingerichtet.
    Eine herrliche Wohnung, hat sie immer gesagt. Später, als sie sich kannten und zusammen wohnten.
    Es ist schön, dass du Geld hast, hat sie gesagt.
    Er hat nichts geantwortet. Sie ist in der Badewanne gelegen und er hat ihr Sekt gebracht, mit ihr angestoßen und die Gläser mit der Haut und den Armen und den Beinen im Wasser versenkt. Stundenlang sind sie in der Wanne gelegen, haben kaltes Wasser abgelassen und warmes nachgefüllt. Sie haben sich geküsst und gewaschen. Sie haben sich tagelang berührt nach der Arbeit, in der Wanne, im Bett, im Park, überall und immer. Bis zum Abend.
    Dann war die Vernunft da. Wir müssen schlafen, Ludwig.
    Ist gut, Anna. Und sie haben sich gehalten und geschlafen, weil beide wussten, wie früh es an einem Tag sein konnte, wie müde der Tag sein konnte am Morgen, wie schwer die Haut war und die Stimme im Sender und die Hände unter dem Mehl.
    Gute Nacht, Ludwig.
    Gute Nacht, Anna.
    Wenn der Nachbar nicht umgefallen wäre, hätten sie sich nicht kennen gelernt. Er ist mit dem Hund vor das Haus auf die Straße und hatte einen Herzinfarkt.
    Er ist gestürzt und tot liegen geblieben, um vier Uhr siebenundzwanzig. Um vier Uhr neunundzwanzig hat

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