Nur Der Tod Bringt Vergebung
Wort gewechselt. Sie mußte sich überwinden, die Zelle zu betreten. Bruder Eadulf nahm an, sie sei deshalb so schweigsam, weil sie gegen ihren Willen bei der Aufklärung des Verbrechens mit ihm zusammenarbeiten mußte, und zeige ihm aus diesem Grund die kalte Schulter. Fidelma allerdings mußte all ihre Kraft zusammennehmen, um diesen gefürchteten Augenblick zu überstehen:
Wenn sie die Tür öffnete, würde sie ihre tote Freundin sehen.
Mit ihrem Schmerz über Étains Ermordung mußte sie allein zurechtkommen. Auch wenn sie einander nicht häufig gesehen hatten, waren sie doch stets gute Freundinnen gewesen. Fidelma dachte daran, wie ihr Étain noch am Vorabend anvertraut hatte, daß sie Kildare aufgeben und ihr Glück in einer Heirat suchen wollte. Fidelma überlegte angestrengt. Wer war Étains Verlobter? Und wie sollte sie diesen Mann ausfindig machen, um ihm die traurige Nachricht zu überbringen? War er ein Eoghanacht-Häuptling? Oder ein Glaubensbruder, den sie in Irland kennengelernt hatte? Sie würde noch genug Zeit haben, sich damit zu befassen, wenn sie nach Irland zurückgekehrt war.
Fidelma holte ein paarmal tief Luft, um sich zu beruhigen.
«Wenn Ihr die Tote lieber nicht ansehen möchtet, Schwester, kann ich das gern für Euch übernehmen», sagte Eadulf besänftigend. Offenbar mißdeutete er ihr Zögern als Angst davor, eine Leiche zu betrachten. Es waren die ersten Worte, die der sächsische Mönch direkt an sie gerichtet hatte.
Fidelma wußte nicht, was sie davon halten sollte.
Einerseits war sie überrascht, wie gut er Irisch sprach. Andererseits erzürnte sie sein gönnerhafter Ton.
Der Zorn gewann die Oberhand und verlieh ihr die Kraft, die sie jetzt so dringend benötigte.
«Étain war die Äbtissin meines Klosters in Kildare, Bruder Eadulf», sagte sie mit fester Stimme. «Ich kannte sie gut. Nur das läßt mich innehalten, und ich glaube, jedem anständigen Menschen würde es in dieser Lage ähnlich gehen.»
Bruder Eadulf biß sich auf die Lippen. Was für eine aufbrausende, überempfindliche Frau, dachte er. Ihre grünen Augen blitzten.
«Um so mehr Grund hätte ich Euch diesen Anblick zu ersparen», erwiderte er so ruhig wie möglich. «Ich bin in der Kunst der Apotheker erfahren, denn ich habe an Eurem berühmten Kollegium der Medizin in Tuaim Brecain studiert.»
Seine Worte stachelten ihre Wut nur weiter an.
«Und ich bin eine dálaigh der Brehon-Gerichtsbarkeit», erwiderte sie steif. «Ich nehme an, ich brauche Euch nicht zu erklären, welche Pflichten mit diesem Amt verbunden sind?» Noch ehe er antworten konnte, hatte sie die Tür des cubiculum aufgeschoben.
In der Zelle war es düster. Zwar waren es noch zwei Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit, doch herrschte bereits ein trübes Dämmerlicht, denn das einzige Fenster war klein und weit oben in die dunkle Steinwand eingelassen.
«Besorgt uns eine Lampe, Bruder», wies sie ihn an.
Eadulf zögerte. Er war es nicht gewohnt, von einer Frau Befehle entgegenzunehmen. Dann nahm er achselzuckend eine Lampe von der Wand des Korridors, die dort für die nächtliche Benutzung bereithing. Es dauerte eine Weile, bis er den Zunder entflammt und den Docht richtig eingestellt hatte.
Die Lampe mit einer Hand in die Höhe haltend, betrat Eadulf hinter Fidelma die kleine Zelle.
Äbtissin Étains Leiche lag noch so, wie sie nach der Bluttat hingefallen war, auf dem Rücken quer über dem schmalen Bett. Bis auf die Haube war sie vollständig bekleidet. Langes, goldblondes Haar umrahmte in üppigen Locken das Gesicht der Toten. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten zur Decke. Der Mund stand offen und war zu einer häßlichen Fratze verzerrt. Blut bedeckte die untere Hälfte ihres Gesichts, ihren Hals und ihre Schultern.
Die Lippen fest zusammengepreßt, schritt Schwester Fidelma auf das Bett zu. Sie zwang sich, auf den Boden zu sehen und so den kalten, offenen Augen des Todes auszuweichen. Vor dem Bett ging sie in die Knie und murmelte ein Gebet für ihre tote Äbtissin. «Sancta Brigita intercedat pro amica mea …» , flüsterte sie. Dann streckte sie die Hand aus, schloß ihrer Freundin die Augen und fügte das Gebet für die Toten hinzu: « Requiem aeternam dona ei Domine … »
Als sie fertig war, wandte sie sich zu dem sächsischen Mönch um, der an der Tür gewartet hatte.
«Da wir nun einmal zusammenarbeiten werden, Bruder», sagte sie kühl, «sollten wir uns darüber verständigen, womit wir es hier zu tun
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