Nur Der Tod Bringt Vergebung
ging zu dem kleinen Tisch und betrachtete Étains wenige persönliche Dinge. Ein kleines Meßbuch gehörte dazu. Das Kruzifix war ihr einziger Schmuck. Und Fidelma hatte bereits gesehen, daß sie ihren Äbtissinnenring noch am Finger trug. Wieso hatte sie das Gefühl, daß trotzdem irgend etwas fehlte?
«Es gibt wenig, was darauf hindeuten könnte, wer der Schurke war, Schwester», unterbrach Eadulf ihre Gedanken. «Einen Raubmord aus Habgier können wir allerdings ausschließen», fügte er hinzu und deutete auf Ring und Kruzifix.
«Einen Raubmord?» Sie mußte gestehen, daß sie daran wohl als allerletztes gedacht hätte. «Wir befinden uns in einem Hause Gottes.»
«Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Bettler oder Dieb in eine Abtei eingebrochen wäre», erklärte Eadulf. «Aber in diesem Fall gibt es dafür keinerlei Anzeichen.»
«Der Schauplatz einer solchen Untat ist wie ein Stück Pergament, auf dem der Übeltäter unweigerlich Spuren hinterlassen muß», entgegnete Fidelma. «Die Spuren sind da. Es liegt an uns, sie zu entdecken und richtig zu deuten.»
«Die einzige Spur ist die Leiche der Äbtissin», sagte Bruder Eadulf leise.
Fidelma strafte ihn mit einem vernichtenden Blick.
«Immerhin etwas, das es zu deuten gilt.»
Bruder Eadulf biß sich auf die Lippe.
Als er am Vorabend im Kreuzgang zufällig mit ihr zusammengestoßen war, hätte er schwören können, einen Augenblick tiefer Verbundenheit zwischen ihnen verspürt zu haben. Jetzt war es so, als hätte diese Begegnung nie stattgefunden. Schwester Fidelma war eine Fremde, die ihm feindlich gesonnen war.
Andererseits, so sagte er sich, brauchte er sich über ihre Feindseligkeit nicht zu wundern. Sie war eine Anhängerin Columbans, während er sich allein schon durch seine corona spinea als Vertreter Roms zu erkennen gab. Und die Spannungen zwischen den in der Abtei versammelten Parteien waren für niemanden zu übersehen.
Ein rauhes Hüsteln auf dem Flur vor der Zelle unterbrach seine Gedanken. Erschrocken wandten sich Fidelma und Eadulf zur offenen Tür. Eine ältere Glaubensschwester stand auf der Schwelle.
«Pax vobiscum», grüßte sie. «Seid Ihr Fidelma von Kildare?»
Fidelma nickte.
«Ich bin Schwester Athelswith, domina des domus hospitale von Streoneshalh.» Sie hielt den Blick fest auf Fidelma gerichtet, um nicht zum Bett schauen zu müssen, wo noch immer Étains Leiche lag. «Äbtissin Hilda sagte, Ihr könntet möglicherweise mit mir sprechen wollen, weil ich für die Beherbergung sämtlicher Gäste während der Synode zuständig bin.»
«Ausgezeichnet», schaltete sich Bruder Eadulf ein, nicht ohne dafür einen weiteren mißbilligenden Blick von Fidelma zu ernten. «Ihr seid genau die Frau, mit der wir uns unterhalten sollten …»
«Aber nicht sofort», unterbrach ihn Fidelma gereizt. «Zuerst, Schwester Athelswith, möchten wir, daß der Medikus Eurer Abtei so bald wie möglich den Leichnam unserer armen Schwester untersucht. Und wenn die Untersuchung abgeschlossen ist, möchten wir mit dem Medikus sprechen.»
Schwester Athelswiths Blick wanderte unruhig zwischen Fidelma und Eadulf hin und her.
«Also gut», sagte sie schließlich widerwillig. «Ich werde Bruder Edgar, unseren Medikus, sofort benachrichtigen.»
«Und wenn wir hier fertig sind, treffen wir Euch am Nordtor der Abtei.»
Die ältere Schwester betrachtete noch immer unentschlossen abwechselnd Fidelma und den jungen sächsischen Mönch. Fidelma war verärgert über ihre Zögerlichkeit.
«Es ist Eile geboten, Schwester Athelswith», sagte sie scharf.
Die Verwalterin des Gästehauses nickte unsicher und machte sich auf den Weg.
Schwester Fidelma wandte sich zu Eadulf um. Ihre Gesichtszüge waren beherrscht, aber die grünen Augen funkelten wütend. «Ich bin es nicht gewohnt …», begann sie, doch Eadulf entwaffnete sie mit einem Grinsen. «… mit jemandem zusammenzuarbeiten? Ja, das kann ich verstehen. Das gleiche gilt für mich. Ich finde, wir sollten einen Weg finden, unsere Ermittlungen ohne weitere Reibereien durchzuführen. Wir sollten entscheiden, wer diese Untersuchung leitet.»
Fidelma sah den Sachsen überrascht an. Sie rang nach Worten, um ihrer Wut Luft zu machen, doch fielen ihr nur zusammenhanglose Sätze ein.
«Da wir uns im Land der Sachsen befinden, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn ich die Verantwortung übernehme», fuhr Eadulf fort, ohne den Sturm zu beachten, der jeden Augenblick loszubrechen drohte. «Schließlich kenne ich das
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