Nur Der Tod Bringt Vergebung
strohblonden Mönch bemerkte, der sich durch die vielen Tische einen Weg zur Tür der Refektoriums bahnte. Es war Seaxwulf, und Fidelma wollte sich schon abwenden, als ihre Blicke sich trafen und sie in den Augen des jungen Mannes einen seltsamen Ausdruck erkannte. Es war, als wollte er mit ihr sprechen, gleichzeitig aber um jeden Preis vermeiden, daß irgend jemand etwas davon bemerkte.
Als Seaxwulf an Fidelma vorüberkam, blieb er stehen und sah auf seine Sandalen hinunter. Dann bückte er sich und begann, sie neu zu schnüren, als seien die Riemen locker geworden.
«Schwester!» flüsterte er ihr zu ihrem Erstaunen auf griechisch zu. «Ich hoffe, daß Ihr diese Sprache versteht. Ich weiß, Ihr könnt wenig Sächsisch, und ich kann mich nicht auf irisch verständigen. Ich möchte nicht, daß jemand uns hört.»
Sie wollte sich schon zu ihm umwenden und ihm sagen, daß sie ihn verstand, als Seaxwulf eindringlich zischte.
«Schaut mich nicht an! Ich glaube, daß ich beobachtet werde. Ich habe Neuigkeiten über Étains Tod. Wir treffen uns in einer Viertelstunde in der apotheca, wo der Wein gelagert wird.»
Seaxwulf erhob sich, warf einen letzten prüfenden Blick auf seine Sandalen und verließ das Refektorium.
Fidelma zwang sich, in aller Ruhe fertig zu essen, ehe sie sich von ihrem Platz erhob und ihm folgte.
Scheinbar ziellos schlenderte sie über das Klostergelände. Sie hielt den Kopf gesenkt, blickte dabei jedoch wachsam in alle Richtungen, um festzustellen, ob jemand sie beobachtete oder ihr gar nachging. Erst nachdem sie die Abtei einmal umrundet hatte und sicher war, daß sie keine Verfolger hatte, beschleunigte sie ihre Schritte zum hypogeum, dem wuchtigen Kellergewölbe, das sich unterhalb des Hauptgebäudes befand.
Am oberen Ende der Wendeltreppe, die in die dunklen Katakomben führte, blieb sie stehen. Auf einem hölzernen Bord gleich hinter der Tür standen mehrere Kerzen. Fidelma nahm eine, zündete sie an und stieg in die Dunkelheit hinab. Sie nahm den gleichen Weg, auf dem Schwester Athelswith sie und Bruder Eadulf zum Gefängnis des irischen Bettlers geführt hatte. Ihr war klar, daß es einen kürzeren Weg zur apotheca geben mußte, aber sie wollte niemanden danach fragen, weil ihr Treffen mit Seaxwulf geheim bleiben sollte.
Das Gewölbe unterhalb des Hauptgebäudes war ursprünglich als Grabstätte für die Toten des Klosters erbaut worden. Um die oberen Stockwerke zu stützen, liefen die wuchtigen Sandsteinblöcke zu runden Bögen zusammen. Sie bildeten ein wahres Labyrinth von unterschiedlich großen Räumen und Nischen, die zur Lagerung aller möglichen Dinge dienten. Fidelma versuchte, sich an den Weg zur apotheca zu erinnern, wo die großen Holzfässer mit Wein aus Franken, Rom und Iberia standen.
Am Fuß der Treppe blieb Fidelma plötzlich stehen. Es war kalt und feucht, und sie wünschte, sie hätte Eadulf von ihrem Plan erzählt. Langsam schritt sie den Mittelgang entlang. Holzsärge mit den sterblichen Überresten der Glaubensbrüder und -schwestern von Streoneshalh, die im Laufe der Jahre das Zeitliche gesegnet hatten, waren auf Steinplatten aufgereiht. Der modrige Geruch des Todes schlug ihr entgegen. Fidelma biß die Zähne zusammen. Sie kam an der kleinen Nische vorbei, wo man Äbtissin Étains Leichnam aufgebahrt hatte. Der des Bischofs war, wie sie wußte, aus der Abtei geschafft und verbrannt worden, genau wie die Leichen aller anderen Opfer der Gelben Pest.
Wie Fidelma vermutete, benutzten die Küchenhilfen nicht jedesmal diesen langen Weg, wenn sie die Weinkrüge nachfüllten. Es mußte eine Abkürzung von der Küche zum Weinkeller geben.
Vorsichtig tastete sich Fidelma weiter. In dem düsteren Gewölbe war es seltsam zugig. Ein kalter Hauch brachte ihre Kerze immer wieder zum Flackern. Irgendwo mußte es Gänge ins Freie geben, durch die der Wind in die Katakomben fuhr.
Schließlich verriet ihr der mit unangenehmen Küchendünsten vermischte Weingeruch, daß sie sich dem Weinkeller näherte. Sie blieb stehen und sah sich um. Allerdings war ihr Gesichtsfeld im Schein der Kerze begrenzt.
«Seaxwulf!» rief sie leise. «Seid Ihr hier?»
Wie ein Donnergrollen kam das Echo zu ihr zurück.
Sie hob die Kerze. An den Wänden tanzten unheimliche Schatten.
«Seaxwulf!»
Suchend lief Fidelma zwischen den Fässern hin und her.
Plötzlich merkte sie auf.
Ein dumpfes Geräusch war zu hören. Fidelma lauschte angestrengt, um es näher zu bestimmen. Es klang, als poche jemand
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