Nur Der Tod Bringt Vergebung
messen, denn sie war an mehreren Stellen eingekerbt. Vorsichtig stocherte sie damit im Faß herum, doch es schien nichts auf den Grund gesunken zu sein. Der Duft des Weins machte sie benommen.
Fidelma kletterte wieder vom Schemel und umrundete das Faß. Anschließend fuhr sie mit der Hand über das Eichenholz. An einer Seite war es ganz feucht. Sie schnupperte an ihren Fingerspitzen. Der Weingeruch war unverkennbar.
«Leuchtet einmal hier auf den Boden», wies sie Eadulf an.
Eadulf hielt die Lampe an die fragliche Stelle. Auch der Boden war feucht, und es waren deutliche Schleifspuren zu sehen.
«Jemand hat die Leiche auf dieser Seite aus dem Faß gezerrt und fortgeschleppt … in diese Richtung. Kommt weiter!»
Entschlossen folgte sie der Spur auf dem Boden.
Eadulf blieb ihr dicht auf den Fersen.
Von gelegentlichen feuchten Flecken unterbrochen, waren zwei nebeneinander verlaufende Spuren zu sehen, ganz so als hätte jemand die Leiche an den Armen hinter sich her gezerrt, so daß die Knöchel über den Boden schleiften.
Die Spur führte in einen vom Hauptkeller abzweigenden, in den Felsen gehauenen Gang, der sich nach kurzer Zeit so verengte, daß höchstens zwei Personen nebeneinander gehen konnten. Eadulf griff nach Fidelmas Arm und hielt sie zurück.
«Was ist?» fragte sie.
«Man hat mir gesagt, dieser Gang führe zu einem der häufiger benutzten defectora für Männer, Schwester», sagte Eadulf. Selbst im trüben Licht der Öllampe konnte Fidelma erkennen, daß er errötete.
«Zu einem Abort?»
Eadulf nickte.
Fidelma schnaubte verächtlich.
«Leider kann ich in dieser Lage weder auf mein eigenes Schamgefühl noch auf das anderer Menschen Rücksicht nehmen. Irgend jemand hat Seaxwulfs Leiche nun einmal in diese Richtung geschleift.»
Eadulf sah ein, daß jeder weitere Widerstand zwecklos war, und folgte ihr.
Der enge Tunnel schien endlos.
Nach einer Weile blieb Fidelma stehen und spitzte die Ohren. In der Ferne war ein dumpfes Dröhnen zu hören.
«Was ist das?»
Eadulf lauschte angestrengt.
«Donner vielleicht?»
Tatsächlich klang es wie fernes Donnergrollen.
«Aber dafür ist das Geräusch zu andauernd», sagte Fidelma.
Sie gingen weiter voran.
Der kalte Luftzug, den sie bereits im gesamten Kellergewölbe gespürt hatten, wurde stärker.
Als sie um die nächste Biegung des von Menschenhand gehauenen Tunnels kamen, brachte ein plötzlicher Stoß kalter, feuchter Luft die Flamme ihrer Öllampe zum Erlöschen.
Es roch nach Salzwasser und Seetang.
«Wir müssen in der Nähe der Küste sein», rief Fidelma laut, um das Rauschen zu übertönen. «Könnt Ihr die Lampe wieder anzünden?»
«Leider nicht», bedauerte Eadulf. «Ich habe keinen Feuerstein dabei.»
Im ersten Augenblick war es stockfinster. Doch ganz allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, so daß ihnen der Tunnel nur noch dämmrig erschien.
«Dort vorne muß ein Ausgang sein», schrie Eadulf.
«Ja. Laßt uns nachsehen, wohin er führt», antwortete Fidelma und ging weiter.
Eadulf konnte ihre dunkle Gestalt gerade erkennen.
«Seid vorsichtig», rief er. «Haltet Euch dicht an der Wand, damit Ihr nicht ausrutscht.»
Langsam tasteten sie sich Schritt für Schritt voran.
Das Dröhnen wurde immer lauter.
Fidelma wußte, es konnte nur von der Brandung kommen. Der Tunnel mußte irgendwo bei den Klippen einen Ausgang haben. Sie hörte, wie die Wellen mit voller Wucht gegen die Felsen schlugen.
Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum Seaxwulfs Leichnam durch diesen Gang geschleift worden war. Der Mörder hatte ihn von den Klippen ins Meer gestoßen. Mit jedem Schritt wurde es heller, und der Lärm war inzwischen ohrenbetäubend.
Fidelma tastete sich um die nächste Biegung. Plötzlich spritzte ihr ein Schwall Salzwasser ins Gesicht, und sie konnte nichts mehr sehen. Unwillkürlich schloß sie die Augen und machte einen Schritt nach vorn. Aber ihr Fuß fand keinen Halt mehr auf dem steinigen Boden. Einen Augenblick schien sie in der Luft zu hängen. Dann griff eine starke Hand nach ihrem Arm und zog sie zurück. Sie stand wieder auf terra firma, und Eadulf war an ihrer Seite.
Der Tunnel mündete jäh in eine Öffnung in den Klippen. Von dort fielen die Felsen mindestens hundert Fuß zum Meer ab.
Fidelma erschauderte, als sie erkannte, wie knapp sie dem Tod entronnen war.
«Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt vorsichtig sein, Schwester», schimpfte Eadulf, die Hand noch immer auf ihrem Arm.
«Die
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