Nur Der Tod Kann Dich Retten
hier nämlich ziemlich beschäftigt.«
John musste nicht fragen, wo Ian sich aufhielt. Im Hintergrund hörte er Kerri.
»Ist das der Krankenwagen?«, fragte sie.
»Gibt es ein Problem?«, fragte John.
»Kerris Mutter hatte einen Herzinfarkt«, sagte Ian und fügte flüsternd hinzu: »Sie ist tot.«
John versuchte, diese neueste Information zu verarbeiten. Was konnte heute Nacht noch alles passieren? »Bitte richten Sie Kerri mein Beileid aus«, sagte er und spürte, wie Pauline neben ihm sich am ganzen Körper verspannte. »Ist Megan zufällig bei Ihnen?«
»Megan? Nein. Die ist auf der Party. Hören Sie, Sie müssen mich entschuldigen.«
Das Gespräch wurde unterbrochen. John rief sofort Sandy zurück. »Sie ist nicht bei ihm«, erklärte er ihr. »Ich hole Sie in fünf Minuten ab. Wir suchen gemeinsam. Und Sandy«, fügte er mit ruhiger Überzeugung hinzu, »wir werden sie finden. Versprochen.«
34
A ls Megan erwachte, hörte sie ein leises Stöhnen.
Das unheimliche Geräusch kam mit einem Traum herangeweht. Kannst du mich am Morgen retten? Liana Martin sang neben einem glühenden Lagerfeuer, umringt von ihren Freundinnen, die mit ihr die Lippen zum Text des Liedes bewegten.
Denn ich hab eine Leere zu füllen.
Ein Begehren zu verhüllen.
Und dann kam Joey Balfour mit einem Kasten Bier, und alle tranken und redeten laut durcheinander, sodass die wunderschönen Worte des Liedes -
Wenn ich ein anderer wär’,
Hätt’ ich’s nur halb so schwer
- übertönt wurden.
Hab noch Strafen zu vollstrecken
Hab meine Wunden noch zu lecken.
Und dann wurde das zarte Tremolo von Lianas Stimme immer zittriger und sackte aus der Sopranlage in den Alt -
Kannst du mich am Morgen retten?
- bis ihr Gesang plötzlich völlig verzerrt klang, die Worte miteinander verschmolzen und die Harmonien in die Dissonanz purzelten. Das Lied wurde zum Klagegesang und der Klagegesang zu einem langen, traurigen Schrei.
Sei mutig, Süße, und sag Nein
Niemand zwingt dich, dabei zu sein
Wenn du spürst das Gefühl in dir
Du wärst irgendwo anders als hier...
Megan öffnete die Augen und richtete sich auf. Diesmal gab es keinen unangenehmen Schock, sondern nur die traurige Feststellung, dass die mittlerweile vertraute Umgebung nach wie vor dieselbe war. Sie war nirgendwo anders als hier . Nichts hatte sich verändert, seit sie zum letzten Mal eingedöst war. Sie war noch immer in demselben, schrecklichen kleinen Raum mit dem leeren Plastikeimer neben derselben unbequemen schmalen Pritsche unter demselben schwachen flackernden Licht. Sie hatte keine Ahnung, ob sie Minuten oder Stunden geschlafen hatte, länger oder kürzer als beim letzten Mal, und ob es Tag oder Nacht war.
Kannst du mich am Morgen retten?
»Kannst du mich retten?«, wiederholte Megan und lauschte der Musik in ihrem Kopf.
Aber es war keine Musik, und es war auch nicht in ihrem Kopf.
Was war es dann?
Megan rappelte sich auf die Füße, ihre Beine waren schwach und zittrig. Irgendjemand stöhnte, erkannte sie, und der Adrenalinstoß trieb sie weiter. Irgendjemand direkt hinter der Tür. Ihr Herz begann wie wild zu pochen, so schnell, dass Megan kaum atmen konnte, und das Blut rauschte in ihren Ohren, dass sie nur mit Mühe einen klaren Gedanken fassen konnte.
Doch klar denken war genau das, was jetzt gefragt war, wusste sie, weil dies nicht der Moment war, unüberlegt loszuschlagen und impulsiv und gedankenlos zu handeln, um sich womöglich in eine noch größere Gefahr zu begeben als die, in der sie schon schwebte. Denn in den Minuten, Stunden oder Tagen, die sie in diesem grausamen kleinen Gefängnis verbracht hatte, hatte sie erkannt, dass dies kein dummer Jungenstreich war und dass derjenige, der sie hierherverschleppt hatte, sehr viel mehr im Schilde führte als eine miese kleine Revanche.
Irgendjemand wollte ihr ernsthaft Schaden zufügen. Möglicherweise dieselbe Person, die Liana, Candy und Fiona ermordet
hatte. Und es war egal, ob diese Person Cal Hamilton, ein Trittbrettfahrer oder jemand ganz anderes war. Entscheidend war, dass Megan bei wachem Verstand blieb, wenn sie dem Schicksal der anderen entgehen wollte.
Das Stöhnen wurde lauter. Da draußen war auf jeden Fall irgendjemand.
Mit zitternder Hand griff Megan nach der Klinke, obwohl sich die Tür bisher bei jedem frustrierenden Versuch als verschlossen erwiesen hatte.
Diesmal war es anders.
Die Tür ging auf.
»Oh Gott«, murmelte Megan, hielt den Atem an und verschloss die Augen vor dem
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