Nur Der Tod Kann Dich Retten
sitzengelassen zu haben. Er hatte etwas Besseres verdient. »Und Rita ist cool. Die kriegt das schon hin.«
Rita ist cool ?, wiederholte Sandy stumm. Wann hatte sie angefangen zu reden wie ihre Schüler? Was war los mit ihr? Erst hatte sie ihre beste Freundin wegen eines attraktiven Fremden alleingelassen, und jetzt warf sie mit unvertrauten Wörtern wie cool um sich. Es war ein rutschiges Seil, auf dem sie balancierte, dachte sie und fragte sich, ob sie ein bestimmtes Ziel ansteuerten oder einfach nur so herumfuhren. Aber anstatt zu fragen, schmiegte sie sich tiefer in ihren dunkelbraunen Ledersitz und sagte: »Ein schöner Abend. Und ein schönes Auto.«
»Ein schöner Abend. Ein schönes Auto. Ein schönes Mädchen«, sagte Will mit einem lockeren Lächeln.
Sandy lächelte ebenfalls. Wie lange war es her, seit irgendjemand sie zum letzten Mal ein Mädchen genannt hatte? Wenn Ed oder Bob sich Ähnliches herausgenommen hätten, hätte sie sicher laut protestiert. Doch aus dem Mund von Will war die Bezeichnung geradezu erregend. Sie lehnte sich zurück und genoss es, so herrlich verantwortungslos zu sein. Sie war stets ein braves Mädchen gewesen, immer eifrig darauf bedacht, alle Regeln einzuhalten. Und wohin hatte sie das gebracht? Nach Torrance. Es wurde definitiv Zeit für eine Veränderung. »Und bist du in Florida geboren?«, fragte sie und wünschte sich, ihr wäre etwas Originelleres eingefallen.
»Ist das irgendjemand?«, fragte er zurück.
»Fast alle Bewohner von Torrance sind auch da geboren.«
»Torrance?«
»Da wohne ich«, erklärte Sandy. »Es liegt etwa eine Stunde westlich von hier.«
»Wurde da nicht letzte Woche ein Mädchen ermordet?«
Erneut dieser bohrende Zweifel. »Ja. Was weißt du davon?«
»Nur was in der Zeitung stand. Haben Sie den Typen gefunden?«
»Noch nicht.«
Will schwieg.
»Und woher kommst du nun?«, fragte Sandy.
»Aus Chicago.«
»Hattest du keine Lust mehr auf die langen Winter?«
»Ich hatte keine Lust mehr auf die ewigen Streitereien mit meiner Ex. Ich hab mir gedacht, vielleicht ist es für alle das Beste, wenn ich woanders hingehe.«
Wieder spürte Sandy diesen bohrenden Zweifel, den sie jedoch sofort als albern verwarf. Er hatte also eine Exfrau, na und? Was hatte sie erwartet? Dass er ein Mann ohne Vergangenheit war? Und außerdem, würde sie nicht bald auch eine
Ex sein? Ex, ex, ex, ex , wiederholte sie stumm und genoss den harten Klang. »Hast du Kinder?«, hörte sie sich fragen.
»Zwei Jungen, sieben und neun.«
Das bedeutete, dass er wahrscheinlich jünger war als sie. Wieder meldete sich der bohrende Zweifel.
»Und du?«, fragte Will.
»Ein Junge und ein Mädchen. Megan ist siebzehn, Tim sechzehn«, fügte sie zögernd hinzu und fragte sich, wie viel jünger Will sein mochte? Fünf Jahre? Zehn? Und was genau bedeutete das? Dass er eine Vorliebe für ältere Frauen hatte? Dass er Alter unwichtig fand? Dass er ohne seine Brille blind war wie eine Fledermaus?
»Wirklich? Dann musst du aber sehr jung Mutter geworden sein.«
»Offen gestanden, war ich erst zehn«, sagte Sandy.
Will lachte. »Eine kindliche Braut.«
»Fast.«
»Und was ist passiert?«
»Wir sind erwachsen geworden.«
Will nickte. »Ja, das kommt in den besten Familien vor.«
»Offensichtlich.«
»Was macht er?«
»Er ist Arzt.«
»Na, das ist doch prima für dich.«
»Ja? Wieso?«
»Da kannst du ihn gründlich melken.«
Hinter dem breiten Lächeln von Will Baker machte Sandy einen Hauch von Zorn aus und spürte wieder den Zweifel. »Ich hab kein Interesse daran, ihn zu melken.«
»Das sagen sie am Anfang alle. Und dann überlegen sie es sich anders.«
»Sie?«
»Hast du ihm das Studium finanziert?«
»Ja, aber dafür hat er mir später meine Lehrerausbildung bezahlt.«
»Trotzdem wirst du besser wegkommen.«
Sandy hörte sich seufzen, wandte sich ab und betrachtete die Umgebung. Eine Reihe von Apartmenthochhäusern verdeckte den Blick auf den Ozean. Sie dachte an Rita und fragte sich, wie sie mit Ed und Bob zurechtkam. Vielleicht würde sie ihr bei Publix eine Pflanze oder eine Schachtel Pralinen kaufen. Bei dem Gedanken an Letztere knurrte ihr Magen vernehmlich. Verlegen faltete sie die Hände über dem Bauch.
»Ich nehme an, die Scheidung war nicht deine Idee«, sagte Will.
War das so offensichtlich? »Nein, war es nicht.«
Er berührte ihre Hand. »Was nicht heißt, dass sie nicht trotzdem gut war.«
Sandy lächelte und spürte, wie ihre Anspannung sich
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