Nur der Tod sühnt deine Schuld
davon aus, dass es etwas Persönliches ist. Das war keine zufällige Tat. Wer auch immer Monica Ridge erstochen hat, hat es blind vor Wut mit ungeheurer Gewalt getan. Ich sage dir, irgendjemand hat diese Frau gehasst.«
Frank fuhr sich mit der Hand über das markante Kinn, auf dem bereits ein Bartschatten zu sehen war. »Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Sie war eine nette Frau, die nur ihr Kind großziehen und ein ruhiges Leben führen wollte.«
»Auch nette Frauen mit einem ruhigen Leben können Geheimnisse haben«, sagte Tolliver. »Sie war deine Nachbarin, aber wer weiß, vielleicht gab es irgendetwas in ihrem Leben, das jemanden zu ihrem Mörder machte.«
»Wenigstens wurde sie nicht vergewaltigt«, sagte Frank und starrte auf seinen Cheeseburger.
»Aber das wurde sie doch«, widersprach Tolliver. »Nur dass der Täter ein Messer benutzte anstatt seinen Schwanz, und dass er ihr in die Brust stach, anstatt über sie herzufallen. Dieselbe Wut, dieselbe Gewalt, nur mit anderen Mitteln.«
Tolliver trank einen Schluck Mineralwasser, dann fuhr er fort. »Was ich nicht verstehe, ist, dass die Tat alle Kennzeichen einer Affekthandlung trägt, die Säuberung des Tatorts aber beweist, dass der Mörder extrem planvoll und systematisch vorgegangen ist, was gegen einen Mord im Affekt spricht.«
»Hoffentlich kann Haley Molly morgen dazu bringen, uns zu erzählen, was sie gesehen hat.« Frank hob den Blick, und seine braunen Augen blitzten. »Ich kann einfach nicht glauben, dass die arme Kleine unter dem Bett gelegen hat, während das Ganze passiert ist.«
»Mir macht Sorgen, dass Molly möglicherweise so traumatisiert ist, dass es Monate dauert, bis sie über das sprechen kann, was sie gesehen oder gehört hat.« Tolliver schob den Rest seines Burgers von sich. Der Gedanke an Molly Ridge hatte ihm den Appetit verdorben.
Was hatte sie mitbekommen? Hatte sie das Gesicht des Mörders ihrer Mutter gesehen? Hatte sie die Stimme des Mörders gehört? Was verbarg sich in dem kleinen Köpfchen, und wie konnten sie es hervorholen, um es zu nutzen?
Tolliver seufzte. »Wenn Haley es in den nächsten ein, zwei Tagen nicht schafft, Molly zum Reden zu bringen, werde ich mich an Grey Banes wenden. Er kann Haley einen Therapeuten vermitteln, der möglicherweise imstande ist, Mollys Schweigen zu brechen.«
»Wirklich schade, dass Grey nicht mehr praktiziert. Er war ein hervorragender Kindertherapeut. Vielleicht solltest du ihn möglichst schnell bitten, mit Haley zu reden. Ehrlich gesagt, Tolly, dieser Fall bereitet mir Alpträume.«
Tolliver erwiderte nichts. Selbst in einer Kleinstadt wie Pleasant Hill gab es reichlich Gewaltverbrechen. Während seiner inzwischen dreißig Jahre bei der Kriminalpolizei hatte er aber nur zwei Fälle gehabt, die ihn bis in seine Träume verfolgten.
Der erste war die Entführung der sechzehnjährigen Abigail Tanner von einer Bushaltestellte direkt vor ihrem Elternhaus gewesen. Anfangs war man davon ausgegangen, der hübsche Teenager sei ausgerissen, obwohl die Mutter beteuert hatte, dass das nicht sein könne. Victoria Tanner hatte darauf bestanden, dass ihre Tochter keine Ausreißerin war, dass es keinen Streit gegeben hatte, keine Konflikte, die die Vermutung nahelegten, sie könne weggelaufen sein.
Drei Tage später wurde Abigails Leiche gefunden. Das Mädchen war vergewaltigt, erdrosselt und in einen Entwässerungsgraben geworfen worden. Der Täter wurde nie gefasst.
Victoria Tanner erschien täglich auf dem Polizeirevier, wartete auf eine Verhaftung, hoffte auf ein konkretes Gesicht, auf einen konkreten Namen. Und eines Tages, von heute auf morgen, kam sie nicht mehr.
Nachdem er zwei Tage vergeblich versucht hatte, sie telefonisch zu erreichen, fuhr Tolliver schließlich mit einem schrecklichen Verdacht zu ihr nach Hause. Er fand sie in der Badewanne, sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Auf der Küchentheke lag ein Abschiedsbrief.
Der zweite Fall, der seine Träume heimsuchte, war weniger spektakulär, aber nicht minder tragisch. Ein Einbruch mit Todesfolge. Das Opfer war die vierundachtzigjährige Margaret Mason gewesen. In einem Anfall von Panik hatte der jugendliche Einbrecher der alten Dame einen Stoß versetzt, so dass sie stürzte und mit dem Hinterkopf auf die Kante ihres Couchtisches schlug. Sie war auf der Stelle tot.
Nicht Margaret Masons Tod selbst hatte Tolliver verfolgt, sondern die Würde und stille Schicksalsergebenheit ihres Ehemanns Sam. Sam saß im
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