Nur die Küsse zählen
schüttelte den Kopf undhob eine Hand. „Du musst aufhören. Wir müssen aufhören. Das ist verrückt.“
In seinen blauen Augen funkelte die Leidenschaft. Er streckte erneut die Hände nach Aurelia aus, doch sie entfernte sich noch ein Stück.
„Ich meine es ernst“, sagte sie so kräftig, wie sie konnte. Ihr fiel es schwer, entschlossen zu wirken, wenn sie sich doch einfach nur wieder in seine Arme werfen, von ihm gehalten werden und mit ihm schlafen wollte.
„Ich verstehe das nicht“, erwiderte er. „Ich dachte …“ Er wandte den Blick ab. „Entschuldige, mein Fehler.“
„Nein.“ Sie griff nach seinem Arm, um ihn aufzuhalten. „Ich muss mich entschuldigen. Ich drücke mich ganz falsch aus. Stephen, das hier hat nichts mit dir zu tun. Es geht um mich und uns und wo wir im Leben stehen.“ Sie schaute ihn an, wollte, dass er verstand.
„Du bist einundzwanzig Jahre alt. Du musst deinen Collegeabschluss machen und dann mit deinem Leben loslegen. Du hast noch so viele Dinge zum ersten Mal zu erleben, vor dir liegen noch so viele neue Erfahrungen. Ich will dir da nicht im Weg stehen.“
Er wirkte nicht so, als verstünde er sie oder als wüsste er ihre Selbstaufopferung irgendwie zu schätzen. „Wovon redest du da? Du tust ja so, als wärst du hundert Jahre älter als ich. Welche ersten Male habe ich denn noch vor mir, die du nicht mehr vor dir hast? Sicher, du bist ein paar Jahre älter, aber na und? Ich bin gern mit dir zusammen. Ich dachte, dir würde es genauso gehen.“
Er war gern mit ihr zusammen? Es war schwer, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig war, und nicht in dieser Information zu schwelgen. Was die ersten Male anging … „Wie wäre es damit, sich das erste Mal zu verlieben? Das solltest du mit jemandem in deinem Alter tun.“
Er bedachte sie mit dem Blick eines selbstbewussten Mannes. Und in diesem Moment trennten keine neun Jahre sie. Sie waren gleich – oder vielleicht war er sogar ein wenig erfahrener.
„In wen warst du schon verliebt?“, fragte er.
„Äh, nun ja, eigentlich bin ich noch nie verliebt gewesen, aber wir reden hier ja auch nicht von mir.“
„Dein Argument ist aber, dass ich noch eine ganze Welt voller Erfahrungen vor mir habe. Aber das stimmt nicht. Du hast mir erzählt, dass du sogar während deiner Collegezeit jedes Wochenende nach Hause gefahren bist. Und zwar nicht zu deiner großen Liebe. Und seitdem bist du mit deiner Arbeit und deiner Mutter vollauf beschäftigt gewesen.“
Aurelia begann zu bereuen, Stephen so viel erzählt zu haben. Sie hatte nicht geahnt, dass er diese Informationen nutzen würde, um eine Diskussion mit ihr zu gewinnen.
„Du bist doch keine Jungfrau mehr, oder?“, fragte er.
Sie errötete, schaffte es aber, den Blick nicht abzuwenden. „Nein. Natürlich nicht.“ Sie hatte schon Sex gehabt. Einmal. Auf dem College. Der Abend war ein Desaster gewesen. Ein einziges Mal war sie übers Wochenende nicht nach Hause gefahren. Sie war auf dem Campus geblieben und auf eine Party gegangen, auf der sie sich zum ersten Mal im Leben betrunken hatte. Und auch zum letzten Mal.
Sie erinnerte sich noch daran, wie sie zur Feier gegangen war und dort einen Typen kennengelernt hatte. Er war süß und lustig gewesen, und sie hatten sich ein paar Stunden lang miteinander unterhalten. Dann hatte er sie geküsst und … Sie war nicht sicher, was danach passiert war. Alles war irgendwie verschwommen. Sie erinnerte sich, dass er sie überall berührt hatte, und daran, dass sie nackt gewesen war. Außerdem hatte der Sex wesentlich mehr wehgetan, als sie gedacht hatte. Aber sie wusste keine Einzelheiten mehr, sondern hatte nur noch vage Bilder im Kopf.
Die nächsten drei Wochen hatte sie in der Angst verbracht, schwanger zu sein, und die nächsten paar Monate in der Sorge, sich irgendetwas anderes eingefangen zu haben. Am Ende war sie relativ unbeschadet aus der Sache herausgekommen, aber nichts an dem Vorfall hatte in ihr den Wunsch geweckt, das zu wiederholen. Bis jetzt. Bis ein einundzwanzigjähriger Junge siein die Arme gezogen und geküsst hatte. Plötzlich taten sich ganz neue Möglichkeiten auf.
Das Leben ist wirklich nicht planbar, dachte sie traurig. Endlich hatte sie jemanden gefunden, an dem ihr etwas lag, und dann war alles an ihm falsch. Sie nahm jedoch an, es hätte schlimmer kommen können. Er könnte verheiratet oder achtzig oder schwul sein.
„Ich weiß, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will“, erklärte sie.
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